Sonntag, 27. Januar 2013

Archäologischer Verein Freising, Bernstorf

Nach den Steinzeitlinks am Morgen bin ich abends auf der Website des Archäologischen Vereins Freising gelandet. Eine passende Fortsetzung: Im Interaktiven Museum gibt es vier jungsteinzeitliche Gefäße mit ausführlichem Begleittext zu sehen und der übernächste Vortrag ist mit dem Thema „Götter aus Ton? Menschen- und Tierfiguren der Bandkeramik“ ebenfalls der Steinzeit gewidmet.

Aber ich will den Verein nicht auf die Steinzeit einengen. Im Meldungsarchiv 2012 geht es um die Bronzezeit, die Kelten, die Arbeit des Kreisarchäologen, geophysikalische Prospektion und Erdställe. Besonders hervorzuheben sind wieder die ausführlichen Texte. Diese Meldungen sind durchwegs interessant und man kann sie sich von oben bis unten durchlesen.

Ausblick vom Freisinger Domberg

Wie ich schon erwähnte, gibt es zu meiner Blogsoftware eine rudimentäre Statistik. Damit kann ich die aktuell häufigsten Suchworte sehen, die auf meinen Blog führten. Manchmal sind damit regelrechte Informationsnotstände erkennbar, wenn Suchende mit Worten bei mir landen, obwohl ich zum Suchwort etwas vor längerer Zeit geschrieben habe und mittlerweile bei den Suchmaschinenergebnissen ein paar Seiten nach hinten gerutscht bin. „Bernstorf“ und „Kranzberg“ sind gute Beispiele, weil diese Suchworte in den letzten Jahren durch das geplante Bronzezeit-Museum, die Ausgrabung und den Film über die Bernsteinstraße immer mal wieder kurze Nachfragehochs hatten.

Freising

Beim Archäologischen Verein Freising gibt es zu Bernstorf eine Meldung zum 13.03.2012 unter dem Titel „Keine Funde - keine Stadt - kein Fürst. Prof. R. Krause über seine Grabungen in Bernstorf“. Bernstorf-Interessierte sollten sich den Vortragsbericht unbedingt mal durchlesen - er geht wirklich in die Richtung: bislang wurde dort keine größere Bronzezeit-Siedlung nachgewiesen, während es auf dem weniger als 10 km entfernten und im Bernstorf-Zusammenhang meist unterschlagenen Freisinger Domberg eine gegeben hat. Bei Merkur Online finden sich mehrere Artikel zu Bernstorf, die kann man noch über Google in der Art „site:www.merkur-online.de Bernstorf“ suchen. In der ZDF-Mediathek gibt es derzeit noch ein 15-minütiges Video zu Bernstorf und in Archaeoforum.de eine Diskussion zu den Gold- und Bernsteinfunden. Und bei National Geographic gibt es ebenfalls etwas zu Bernstorf inklusive einem Link zur „Die Bernsteinstraße“-Langversion.

Es ist davon auszugehen, daß zu heutigen Ausgrabungen auf dem Computer jede Menge interne Dokumentationen und Berichte entstehen. Da könnte man ohne die Übermittlungsprobleme bei Interview und Vortrag schon ein paar Fotos und Statusmeldungen in das Internet einstellen. Die bessere Basisinformation würde das ganze Niveau heben und an die heutige Online-Verfügbarkeit von Wissen anpassen. Außerdem würde sich die Öffentlichkeit bei steuerfinanzierten Grabungen als Geldgeber mehr ernst genommen fühlen. Daß von Merkur Online so viel zu finden ist, muß man als Glücksfall ansehen. In vielen Regionen gibt es garnichts. Da werden die Tageszeitungsartikel nicht kostenlos online gestellt und es fehlt auch die Bekanntheit, mit der es die Ausgrabung bis zu einem dauerhaft in einer Mediathek gespeicherten Fernsehbeitrag schafft.

Freising

Der Freisinger Archäologieverein sorgt also ehrenamtlich für Informationen von dieser Ausgrabung. Darüber hinaus vervollständigt er sie auch noch mit dem Hinweis auf den Freisinger Domberg. Solche Richtigstellungen sind notwendig, um dann wieder die Notwendigkeiten der archäologischen Forschung deutlich machen zu können - siehe die Meldung vom 27.09.2012 „Einmalige Chance verpasst!“ über Baumaßnahmen am Domberg.

Ich habe schon ein Loblied auf das gesungen, was von einer Blogsoftware automatisch zur Verfügung gestellt wird. Nun sind die Meldungen der Freisinger verglichen mit vielen Blogs (u.a. meinem) schön übersichtlich und man kann sie schnell durchsehen. Ich will aber trotzdem noch ein paar Vorteile der Blogsoftware erwähnen: man könnte von außen via RSS-Feeds automatisch erkennen, wann eine Meldung hinzugekommen ist, und müßte nicht auf die Website gehen und immer wieder nachsehen. Es gäbe automatisch erstellte Linkadressen zu den einzelnen Blogeinträgen/Meldungen, welche man dann in Sozialen Netzwerken weitergeben kann (bei der Freisinger Lösung könnte man sich mit HTML-Ankern behelfen). Die Worte in Blog-Überschriften landen in den Ergebnissen der Suchmaschinen weiter vorne als die Meldungsüberschriften in der jetzt von den Freisingern verwendeten Form.

Freising

Die gute Verlinkbarkeit wäre nur der erste Schritt. Die Aktivität der Leserinnen und Leser beim Linksetzen ist verglichen mit der Zahl der Zugriffe sehr gering. Also muß man bei den meisten Websites für einen Großteil dieser Verlinkungen selbst sorgen, etwa in dem man sich in den Sozialen Netzwerken anmeldet und dort auf neue Meldungen bzw. Blog-Einträge hinweist. Für die Freisinger wäre so eine Ankurbelung der Linkverbreitung eigentlich sehr günstig, weil sie sehr hochwertige Inhalte anzubieten haben und regelmäßig Besucher auf ihre Website locken und ihr Virtuelles Museum promoten könnten. Am besten eröffnen sie auch noch einen Youtube-Kanal und stellen Videos der Vorträge online, das erhöht die Zugriffe und die Motivation die Links weiterzugeben und ich könnte mir Vorträge wie den über Bernstorf jetzt ansehen und anhören.

Freising

Das Online-Stellen der Pressemitteilungen von Museen und Denkmalämtern ist natürlich auch unter dem Aspekt der Verlinkbarkeit zu sehen. Ich habe jetzt gesehen, daß die Pressemitteilungen der Archäologischen Staatssammlung zugreifbar sind - siehe unten „Presse“. Ich hoffe das bleibt so und wird noch etwas komfortabler, wenn mal die Frame-Lösung upgedatet wird. Zur letzten Mitteilung über die am 22.3.2013 beginnende Archäologische Landesausstellung „Alexander der Große – Herrscher der Welt“ im Ausstellungszentrum Lokschuppen Rosenheim gibt es von Heinrich Rudolf Bruns in seinem Blog Heinrich graut's einen lesens- und hörenswerten Beitrag über die Pressekonferenz.

Zurück zu den Vorteilen der Blogsoftware: sehr wichtig erscheint mir auch die Kommentarmöglichkeit. Ich habe früher mal als Beispiel www.heise.de erwähnt. Häufig stellen dort die Kommentare einen großen Mehrwert zu den News auf der Startseite dar. Problematisch sind Behauptungen, bei denen unklar ist wie weit sie belegt sind, und darauf aufbauenden Vermutungen. Siehe dazu die verlinkte Bernstorf-Diskussion im Archaeoforum.de. Man hat aber Mechanismen um damit umzugehen, etwa einen Kommentar nicht frei zu geben, wenn der Inhalt zu daneben ist. Oder Nachfragen nach der Quelle, bevor man auf etwas antwortet. Oder die Reputation des Kommentierers, also z.B. nachsehen was er sonst noch so geschrieben hat. Zur Heise-Website noch die kleine Abschweifung zu den ebenfalls kommentierbaren Artikeln in der Telepolis-Abteilung. Da wird aktuell eine „Abenteuerlustige Leihmutter für Neandertalerbaby gesucht“. Untertitel: „Der Harvard-Molekularbiologe George Church träumt vom Klonen eines Neandertalers“.

Freising

Die Bilder stammen von einem Ausflug im Juli 2008 nach Freising. Meine Auswahl war jetzt nicht so groß - entweder waren wir vorne drauf, oder wegen Sonne und fehlendem Sucher Türme abgeschnitten oder alles unscharf, und bei den Fotos aus dem schönen Freisinger Dom weiß ich nicht ob die Veröffentlichung erlaubt ist. Wer es ermöglichen kann und noch nicht in Freising war, sollte aber sowieso mal hin und sich das alles selbst ansehen.

Samstag, 12. Januar 2013

Steinzeitlinks

Vor den Steinzeitlinks noch zwei andere Links: Simon Kahnert weist auf eine Onlinepetition für den Erhalt des Freilichtmuseums Heuneburg hin. Ich will nicht dem Simon Kahnert in den Rücken fallen, aber sagen wir's mal so: ich habe von der Entscheidung des Gemeinderats im letzten Monat auch etwas mitbekommen, aber auf der Website des Museums sehe ich aktuell nichts davon, obwohl da eigentlich sehr kostengünstig etwas mitgeteilt werden könnte.

Der zweite Link sollte für alle hochinteressant sein, die sich für niederländische Geschichtswebsites interessieren. Wie Jörn Borchert schreibt, werden „auch dieses Jahr wieder die besten Websites der Niederlande gesucht, die sich mit historischen Themen befassen.“ Die Kandidatenliste bietet eine gute Gelegenheit, im niederländischen Angebot zu stöbern.

Nun zum schnellen Eintrag vor Weihnachten über die Website zur Prähistorischen Archäologie noch ein paar Steinzeitlinks.

Ich beginne mit den Steinzeitseiten von Klaus Rädecke, weil ich die schon am längsten kenne und es mir immer dort gefallen hat. Die Website widmet sich „vorgeschichtlichen Monumenten der Jungsteinzeit in Deutschland. Hier liegen rund 800 Dokumentationen aus der Zeit vor 4000-6000 Jahren, gezeigt mit eigenen Fotografien aus den Jahren seit 1999.“ Also ein Projekt aus der Web-1.0-Zeit, das bis heute weitergeführt worden ist.

Zur Jungsteinzeit wäre die Jungsteinsite zu erwähnen, deren „Ressourcen Links“-Rubrik allerdings seit 2004 nicht mehr upgedatet wurde. In der Artikel-Rubrik herrscht noch ein gewisses Leben mit downloadbaren Artikeln aus der Zeit nach 2004. Speziell zur jungsteinzeitlichen Michelsberger Kultur hätte ich einen Bericht von der Karlsruher Ausstellung anzubieten.

Laut Wikipedia werden die Wortverbindungen Ur- und Frühgeschichte, Vor- und Frühgeschichte sowie Prähistorische Archäologie häufig synonym verwendet und umfassen auch Zeiten nach der Steinzeit. Verbandsmäßig weiß ich nicht, ob es noch etwas speziell für die Steinzeitler gibt, ansonsten müßte das von der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte abgedeckt werden.

Umfangreiche Informationen zur Steinzeit gibt es auf der Website Steinzeit & Co - Die Steinzeit in Deutschland von Christian Fuchs. Beachtlich sind auch die zahlreichen Links zu Webseiten und frei im Netz verfügbaren pdf-Dateien.

Gegenüber dem in die Breite gehenden Angebot von „Steinzeit & Co“ ist der Blog Umgepflügt. Sammlung Robert Bollow schon sehr speziell. Es geht in zeitweise sehr vielen Einträgen um „Archäologische Lesefunde des Paläolithikums, des Mesolithikums, des Neolithikums / Bandkeramik, Stichbandkeramik, ua. Mittelneolithikum / Jungneolithikum. Desweiteren Lesefunde bis in die Neuzeit: Bronzezeit, Frühmittelalter, Römische Funde, Keramik aller Zeitstellungen.“

Zum Abschluß der Steinzeitlinks ein Blick hinüber zu Marcellina. Sie hat passenderweise gerade einen Tipp für alle eingestellt, die sich mal so richtig mit prähistorischen Petroglyphen beschäftigen wollen.

Freitag, 4. Januar 2013

„Der Fall Hypatia“ von Peter O. Chotjewitz

Mein Freund Wintersonne hat mir ein paar Schriftsteller empfohlen. Falls ich seiner Empfehlung folgen würde, dann sollte ich mit Peter O. Chotjewitz beginnen, und zwar beginnend mit „Fast letzte Erzählungen“, dann „Fast letzte Erzählungen 2“ usf. Beim Nachsehen habe ich ganz überrascht auch den Titel „Der Fall Hypatia. Eine Verfolgung“ von Peter O. Chotjewitz gefunden, erschienen 2002 in der Europäischen Verlagsanstalt, Hamburg, 262 Seiten, 22 Euro. Nicht auf der Liste von Wintersonne, ihm sogar bislang unbekannt, aber bei einer anstehenden Bestellung zu Weihnachten gab es das Buch sofort und auf die „Fast letzten Erzählungen“ hätte ich warten müssen. Also wollten höhere Kräfte ganz klar einen Chotjewitz-Start mit Hypatia.

Die Hypatia von Alexandria kannte ich aus dem letzten Kapitel von Harro Heusers „Lehrbuch der Analysis Teil 2“. In einem „historischen tour d'horizon“ stellt Harro Heuser die Mathematik-Geschichte beginnend mit den Pythagoreern in einer Abfolge neuer, die Mathematik weiterbringender Erkenntnisse und Durchbrüche dar. Beim Lesen kann man es richtig mitfühlen - sie waren so nah dran und haben es leider noch so versucht und die bessere Löung noch nicht gesehen. Und hundert Jahre später... Das so fruchtbare Vorwärtsschreiten der Griechen wurde aber durch die Römer beendet: „Die imperialen Erdenkklöße taten sich nicht wenig darauf zugute, anders als die sonderbaren 'Griechlein' die Wissenschaften nur so weit zu treiben, wie es das augenblickliche Bedürfnis gerade gebot (und das heißt, sie gar nicht zu treiben).“ Aus Sicht von Harro Heuser griffen die Römer nur einmal in die Geschichte der Mathematik ein: „durch den Mord an Archimedes.“

„Das aufkommende Christentum verfolgte die heidnischen Wissenschaften umso energischer, je freier es sich selbst zu regen vermochte. Der Bischof von Alexandria, Theophilos ...“ die von Harro Heuser zitierte negative Skizzierung von Gibbons lasse ich aus „ließ 392 den Serapistempel zerstören, der die mühsam wiederaufgebaute Universitätsbibliothek enthielt; zahllose Manuskripte gingen zugrunde. 415 riß ein christlicher Mob in Alexandria die anmutige heidnische Mathematikerin Hypatia buchstäblich in Stücke - das schauerlichste Symbol des Untergangs der antiken Wissenschaft. 529 schloß der Kaiser Justinian alle griechischen Philosophenschulen, diese Stätten 'heidnischer und verderbter Lehren'. Die Geschichte kennt keinen entschlosseneren Akt der Selbstverdummung“.

Hypatia wird oft wie bei Heuser als Mathematikerin bezeichnet, häufig als Philosophin, manchmal wird auch die Sternenkunde erwähnt. Ich bin kein Mathematiker. Wir wurden nur via Mathematik rausgeprüft und der erste Teil des Analysis-Lehrbuchs hat für das Überleben gereicht. Von Mathematikern, den anderen genannten Disziplinen und natürlich auch von Historikern hätte ich schon erwartet, daß sie von der Hypatia wissen. Das ist immer noch eine Minorität. Und allgemein ist die Mathematik und die Philosophie so wenig angesagt, daß mich die schwache Resonanz auf den Hypatia-Film vor fast drei Jahren nicht besonders gewundert hat.

Hypatia war die Tochter des Theon. Chotjewitz schreibt: „Die Hypatia-Literatur feiert ihn als bedeutenden Mathematiker, Astronomen und Philosophen. Das ist verständlich, denn seine Tochter war eine noch größere Gelehrte auf diesem Gebiet.“ Während von Hypatia keine Arbeiten überliefert sind, kennt man von Theon Kommentare zu Claudius Ptolemaios und eine Euklid-Edition. Theons mathematische Leistung wird dabei als nicht so hoch bewertet, was aber nach Chotjewitz nicht ausschließt, „daß er der bedeutendste Mathematiker und Astronom seiner Zeit war“. „Die großen Zeiten der Entdeckungen waren lange vorbei, und die Wissenschaften versackten in Spökenkiekereien.“ Das deckt sich irgendwie mit Harro Heuser.

Chotjewitz erwähnt, daß Hypatia von späteren/neuzeitlichen Autoren Arbeiten zugeschrieben wurden. U.a. die Mitarbeit an den ihrem Vater zugeschriebenen Kommentaren oder die Erfindung eines mechanischen Geräts, dessen Besorgung ihr ehemaliger Schüler Synesios von Kyrene von ihr erbeten hat. Die Erfindung des Geräts ist wenig plausibel, weil der ehemalige Schüler das Gerät - das Hypatia ja gekannt haben müßte - eigens für sie noch etwas beschreibt. Die Mitarbeit an den Kommentaren sei nicht belegbar, aber möglich. Aussagen in der Art „nicht belegbar, aber möglich“ finden sich häufiger im Buch. Wobei man neben den fehlenden belegten Arbeiten auch das unbekannte Geburtsdatum sehen muß - bei manchem kann sie nur bei einem frühen Geburtsdatum dabei gewesen sein, zum jung und schön gewesen sein hätte sie nicht so alt sein dürfen.

Belegbar hinsichtlich ihres Vaters soll aufgrund von Vergleichen mit später aufgefundenen nicht-theonischen Schriften sein, daß seine Euklid-Edition „im wesentlichen der Herstellung eines möglichst glatten, leicht verständlichen Textes der 'Elemente' diente“. Gesichert ist auch die Lehrerin Hypatia in einem elitären Bildungssystem. Also man wird sie sich aus bester Familie kommend und mit bester Vorbereitung durch einen bekannten und sehr kompetenten Vater vorstellen können. Das in einer der ersten Städte des Römischen Reichs mit einer überragenden Wissenschaftsgeschichte. Mit Schülern aus hochrangigen Familien und ehemaligen Schülern in hochrangigen Positionen, zu denen sie weiterhin Kontakt hatte. Das wäre schon eine sehr herausragende Stellung gewesen.

Wie kam es nach Chotjewitz zu ihrer Ermordung? Bei Chotjewitz wird sie zum Opfer von Machtkonstellationen und Demonstrationen von Macht. Es gab in diesen Jahrzehnten unterschiedliche Frontlinien: zwischen den ägyptischen Christen, beim Einfluß unterschiedlicher christlicher Parteien auf den Kaiserhof, bei der Konkurrenz der großen christlichen Zentren im Römischen Reich, und in Alexandria mit Heiden und Juden und dem römischen Präfekten. Die Darstellung im Buch legt in vielen Fällen das Schema nahe: neue Kräfteverhältnisse haben sich aufgebaut, es gibt eine Entladung, bei der der christliche Patriarch nicht unbedingt selbst in Erscheinung tritt. Es gibt vielleicht eine Gegenreaktion und eine neue Übereinkunft, die den Zurückgebliebenen deutlich die neuen Verhältnisse zeigt, etwa wenn wie im Fall der Hypatia früher undenkbare Taten möglich werden.

Ich habe mir versucht das neuzeitlich vorzustellen und mir ist dabei ein politischer Flüchtling aus Teheran eingefallen, mit dem ich in den 1980er Jahren mal zu einer Veranstaltung unterwegs war. Es ging um eine Getränkeeinladung, bei der er Tee bevorzugte, und ich wunderte mich damals, daß er im lockeren Smalltalk mit einem Unbekannten auf eine "ah, wegen Allah?"-Nachfrage antworte, er glaube nicht an Gott, er ziehe den Tee wegen Magenproblemen vor. Nach meinen damaligen Vorstellungen hätte er vor so einem Nichtglaubensbekenntnis zumindest ein Sekündchen zucken müssen. Ich hatte mich nie getraut ihn zu fragen, was ihm persönlich passiert ist. Mit Chotjewitz könnte ich mir jetzt ein Umfeld in Teheran vor der islamischen Revolution vorstellen, in dem nicht an Gott zu glauben völlig normal und akzeptiert war. Vielleicht war sein persönliches Schicksal nicht einmal so spektakulär, es blieb vielleicht bei einem Warnschuß. Stattdessen wurden exponierte Personen herausgegriffen und an denen straflos für die Mißhandler die neuen Machtverhältnisse demonstriert, so daß die meisten auf Linie gebracht wurden und viele andere gegangen sind.

Peter O. Chotjewitz hat zum „Fall Hypatia“ zahlreiche Informationen zusammen getragen und Querbeziehungen aufgezeigt. Im Kern findet sagt er zu Hypatia nichts neues, da könnte man sich auf das Durchlesen der Wikipedia beschränken. Die Stärke liegt eher beim Drumherum, also wie der Mechanismus gewesen sein könnte, der zur Tat führte. Man kann sich in den unterschiedlichen Konfrontationen dieser Zeit verlieren und wird in Kenntnis gesetzt, wie Hypatia in späterer Zeit wieder aufgegriffen wurde.

Ungewöhnlich für ein Sachbuch, aber einem Schriftsteller sicher erlaubt, stellt Chotjewitz einen Blick auf die Werke mehrerer Hypatia-Romanautoren an den Anfang des Buchs und endet mit einer „Spurensuche“ in und einer „Flucht“ aus Kairo und Alexandria, die surreale Elemente enthält, etwa einen Portier und einen Fahrer aus Kairo, die er glaubt in Alexandria wiederzuerkennen. Vor dem Reisebericht befindet sich im Buch seine Version des Todes von Hypatia in „fünf Akten“, bei der jedem Leser nach den vielen bisherigen „nicht belegbar, aber kann so gewesen sein“ klar ist, daß Chotjewitz den bestehenden Versionen nur eine weitere mehr oder weniger plausibel begründete hinzufügt. Die Klammerung durch Fiktionales ist wie gesagt ungewöhnlich, wirkt aber in mehrerer Hinsicht treffend. Sowohl angesichts dem vielen Unbelegten, das zum „Fall Hypatia“ behauptet wurde, aber etwa auch zu einem „zeitlosen“ Schema gewalttätiger Grenzüberschreitungen, die später keinem „Patriarchen“ bewiesen werden können, wo aber im Widerspruch zur fehlenden Anordnung von oben die Tat nie rückhaltlos aufgeklärt wird und die Täter bestraft werden.

„Der Fall Hypatia. Eine Verfolgung“ von Peter O. Chotjewitz hat mir sehr gut gefallen. Als Einschränkung ist zu erwähnen, daß Chotjewitz öfters Begriffe ohne weitere Erklärung verwendet, deren Bekanntheit er bei seinen Lesern nicht voraussetzen kann. Nach holprigem Start bin ich nach ein paar Seiten damit klar gekommen, obwohl ich das Nachsehen in der Wikipedia auf später verschoben habe. Das Buch ist zwar mit Fußnoten und weiterführenden Literaturangaben ausgestattet, beim damaligen Alter von Chotjewitz und dem noch neuen Internet bemerkenswerterweise auch inklusive den Ergebnissen einer ausführlichen Internetrecherche, es besitzt aber weder Glossar noch Index noch eine Karte. Letztere wäre sinnvoll, wenn man die Spurensuche von Chotjewitz in Alexandria nachvollziehen will.