Sonntag, 18. November 2018

Besuch am Grab von Siegbert Tarrasch

2009 hatte ich in „Spätantike Links“ auf „Juden im antiken Augsburg“ im Blog des Jüdisch Historischen Vereins Augsburg verwiesen.

Es geht in dem Beitrag um eine weitgehende christliche Vereinnahmung von Fundstücken mit biblischen Bezug. Daß nur ein kleiner Teil der Symbole dem Judentum überlassen bleibt, und daß solche von Christen nicht beanspruchten jüdische Symbole auf Gegenständen in Augsburg gefunden wurden. Ich kann konkret zur behaupteten Vereinnahmung nichts sagen, mich interessierte und interessiert die Kontinuität der jüdischen Bevölkerung von der Antike bis in das Mittelalter. Mein Kommentar vom 26.8.2009 zeigt die mögliche Problematik durch falsch zugeordnete Fundstücke. Es geht im Kommentar um ein in Trier gefundenes „Oberteil einer Lampe mit Darstellung einer Menora“ die sich „in der Nähe des mittelalterlichen Judenviertels von Trier“ fand. „Es erhebt sich die Frage, ob die Nachbarschaft der Fundstelle zum jüdischen Quartier des Mittelalters zufällig ist“. Solche Fragestellungen dürften umso schlechter zu beantworten sein, je weniger Fundstücke zugeordnet werden können.

Beim Vereinnahmen und Ausschließen gibt es eine ziemliche Variationsbreite. Ich will an der Stelle nur noch auf den in meinem Text über das Buch „Der Fall Hypatia“ von Peter O. Chotjewitz geäußerten Gedanken hinweisen, daß man das Abfackeln des Serapis-Tempels und das Umbringen der Hypatia als Umsetzung / Demonstration der neuen Machtverhältnisse sehen kann. Und noch etwas über einen Streit um die Denkmalwürdigkeit im 19ten Jahrhundert hinzufügen, über den ich mal vor ewig gelesen habe. Da ging es darum, daß bislang im wesentlichen nur Adelige mit Denkmälern gewürdigt wurden und sich Bürgerliche nun ebenfalls so verewigt sehen wollten. Die meisten Leute betrifft das nicht und die nehmen so etwas vermutlich nicht wahr. Anderseits stößt man immer wieder auf solche Strukturen, die mit überraschend großer Vehemenz verteidigt werden.

Grab von Siegbert Tarrasch

Der Serapis-Tempel wurde laut Wikipedia 391 n. Chr. zerstört. Hypatia sieht die Wikipedia schon als Angehörige einer bedrängten paganen Minderheit und legt sich bei ihrem Tod auf den März 415 oder März 416 fest. Die Vandalen eroberten 439 Karthago und konnten schon spätestens ab 455 damit beginnen ihr Augenmerk auf die Auseinandersetzung mit der konkurrierenden christlichen Glaubensrichtung in ihrem Herrschaftsbereich zu legen. Soweit ich mich an die Karlsruher Ausstellung „Das Königreich der Vandalen“ erinnere, hatten sie aber die örtlichen Juden toleriert. Es scheint so, als ob eine Gesellschaft, in der es nicht lange zuvor eine Mehrheit an Nichtchristen und Nichtjuden und eine Minderheit an Juden gegeben hat, irgendwie recht schnell in eine Gesellschaft mit einer christlichen Mehrheit und einer jüdischen Minderheit transformiert wurde.

Die schnelle Transformation in eine jüdisch-christliche Bevölkerung läßt an eine von oben gesteuerte massive Verfolgung und „Bekehrung“ der Andersgläubigen denken, von der die Juden nicht in dem Maße betroffen gewesen sind. Wie hat man sich das vorzustellen? Wie wurden die Abhängigen zugeschlagen? Gab es personelle Zugewinne nur bei den Christen oder auch bei den Juden? Etwas später, im frühen Mittelalter, soll man nicht nur im Mittelmeergebiet, sondern auch bei den Franken auf teilweise erhaltene Strukturen aus der Römerzeit aufgesetzen gekonnt haben. Zumindest in den linksrheinischen Städten wären kontinuierliche Bevölkerungsgruppen so zwar denkbar, aber bei zeitweise möglichen kleinen und kleinsten Einwohnerzahlen der Städte nicht zwingend, da ist auch ein zeitweises Verschwinden und eine spätere Neuansiedlung denkbar.

Grab von Siegbert Tarrasch

In den Jahren seither bin ich bei diesem Thema nicht weitergekommen, wollte es aber mal wieder bei passender Gelegenheit erwähnen und meine Meinung wiedergeben. Ich habe jetzt ein Zusammentreffen von einem Besuch am Grab von Siegbert Tarrasch, Schach-Bundesliga und Schach WM zur passenden Gelegenheit auserkoren - vielleicht können einige Leser, die sich auch mal für Schach interessierten, dem etwas abgewinnen. Der jüdische Bezug wird vielen davon bekannt sein - viele der frühen großen Meister hatten jüdische Vorfahren - ich nenne jetzt mal Wilhelm Steinitz, Emanuel Lasker, Siegbert Tarrasch und Aaron Nimzowitsch. Siegbert Tarrasch hat eine besondere Bedeutung, weil viele - ich auch - mit seinem Schachlehrbuch das Schachspiel gelernt haben. Mir wurde es wegen meinem Schachinteresse in der frühen Jugend geschenkt. Die Auswahl fand ich im Nachhinein ganz glücklich, ich habe später einige schlechte und langweilige Anfängerlehrbücher gesehen, die Jahrzehnte später geschrieben wurden.

Erst diesen Sommer habe ich mitbekommen, daß Tarrasch auf dem Münchner Nordfriedhof begraben wurde. Das Grab ist dort sehr einfach mittels downloadbarem Lageplan und den Nummern an den Feldecken auf dem Feld 128 zu finden. Laut einem Forumsbeitrag wurde auf Initiative des Schachklubs Tarrasch-1945 München etwa im Jahr 1996 an dem alten Grab wieder ein Grabstein errichtet, bei dessen Enthüllung der Münchner Schachgroßmeister Wolfgang Unzicker „ein begeisterndes Referat über Leben und Schacherfolge des "praeceptor Germaniae"“ hielt. Für das Grab wird offensichtlich weiter gesorgt. Die Grablaterne habe ich für die Fotos kurzzeitig vom Stein genommen und dann wieder hingestellt. Die christliche Symbolik erklärt sich durch den Wechsel von Tarrasch zur evangelisch-lutherischen Konfession.

Grab von Siegbert Tarrasch

Später kam zum Wissen über das Grab auch noch hinzu, daß die derzeit einzige Münchner Schachbundesligamanschaft ihre Heimspiele nahe dem Nordfriedhof in der BayernLB Sportarena bestreitet. Letztes Wochenende fanden dann welche bei bestem Radlwetter statt. Da mußte ich bei schöner Herbstfärbung die Isar entlang und durch den Englischen Garten hin. Interessenten würde ich empfehlen, sich auch so einen Bundesliga-Termin vor Ort anzusehen. Wenn auch nicht viele andere Zuschauer da sein werden und man die Partien letztlich wesentlich besser im Liveportal der Schachbundesliga mitverfolgen kann. Im Liveportal klickt man sich die Partie heraus, die einen interessiert, und kann deren Verlauf am Bildschirm verfolgen und bekommt dazu fortlaufend Computer-Berechnungen der Hauptvarianten angezeigt.

Derzeit läuft die Schach WM zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana. Die Partien kann man wie eben beschrieben bei verschiedenen Anbietern mitverfolgen. Wenn gerade eine Partie läuft, lasse ich wenn möglich so ein Angebot im Hintergrund mitlaufen und schaue ab und zu rein (aktuell nehme ich das kostenlose Angebot von chess24). Ist die Partie vorbei, schaue ich mir die Analysen von Großmeister Huschenbeth an. Die findet man auf Youtube mit den Suchworten „Caruana Carlsen Partie Großmeister Analyse“.