Mittwoch, 26. Juli 2017

More Doors (für Rimmelsbach)

Marcellinas „66 Hours in Berlin“ erinnerten mich an den Bericht meines Freundes Ralf von seiner Berlin-Tour. Mit der musikalischen Abweichung, daß er bis dahin das Ramones-Museum noch nicht kannte, aber dafür interessante Erlebnisse bei der Equipment-Beschaffung hatte (sein Berliner Lieferant ist auch aus unserer Gegend). Jedenfalls mußte ich gleich nachsehen, ob es ein neues Werk von Ralf gibt. Und fand „More Doors (für Rimmelsbach)“.

More Doors (für Rimmelsbach) von Ralf Schneider auf Vimeo.

„Rimmelsbach“ bezieht sich auf „Rimmelsbacher Hof“. Das ist eine Gruppe von Häusern auf einer Rodungsinsel im Nordschwarzwald nördlich des Mahlbergs. Um es noch etwas komplizierter zu machen, befindet sich in einem der Häuser, Hausnummer Rimmelsbacher Hof 3, eine Gaststätte, die selbst wieder „Rimmelsbacher Hof“ heißt. Früher war das mit dem Namen einfacher, die Ansiedlung soll 1115 als „Rümlinsbach vicus“ ersterwähnt worden sein.

Die Häusergruppe ist dem Rheintal sehr nahe. Auf dem schnellsten Weg geht aber nicht abwärts hinunter, sondern erst einmal hoch auf einen bewaldeten Geländesattel. Ich habe die Geokoordinaten aus dem Bereich dieses Geländesattels genommen. Der Rimmelsbacher Hof entwässert in Gegenrichtung in das Moosalbtal. Die Moosalb fließt wiederum in die Alb und die Alb fließt erst in den Rhein. Foto 2 mit der Sitzbank im Vordergrund habe ich bei dem durch die Geokoordinaten angegebenen Ort in Richtung Moosalbtal aufgenommen. Für interessierte Wanderer hier noch das Stichwort „Carl Schöpf Hütte“: die befindet sich ein paar Schritte links vom Foto-2-Aufnahmeort.

Rimmelsbacher Hof

Von dieser Stelle auf dem Geländesattel kommt man sehr schnell auf einen Weg, der hinunter in das Rheintal führt. Ich bin da noch nie hinunter, aber zeitweise häufig allein oder mit einem Mitradler hier in der Richtung des Geländesattels durchgekommen. Um dann relativ angenehm, im Wald und am Waldrand entlang, mit erträglichen Steigungen, später zwischen Völkersbach und Freiolsheim durch bis nach Moosbronn zu radeln und dann durch das Moosalbtal wieder zurück zu rollen.

Obwohl mir somit klar war, wie nah man da am Rheintal ist, war ich dann doch von der Vermutung irritiert, daß dieses Gebiet zwischen Moosalbtal und Rheintal über den Rimmelsbacher Hof besiedelt wurde. Denn zum einen liegen dessen Häuser heute abgelegen von der Hauptverkehrsstrecke, zum anderen haben die umliegenden Ansiedlungen wesentlich mehr Einwohner.

Blick vom Waldrand oberhalb des Rimmelsbacher Hofs Richtung Moosalbtal

Ein Blick ins Netz macht die Sache plausibler. Man findet die genannte Ersterwähnung von 1115, die umliegenden Siedlungen sind später erwähnt worden. Es ist auch so, daß direkt unten im Rheintal die Römerstraße verlief, mithin eine uralte Hauptverkehrsstrecke. Vom Gebiet des gleich unten liegenden Sulzbach sind römerzeitliche Funde bekannt. Über die großflächige römerzeitliche Waldnutzung will ich jetzt nicht spekulieren, aber nochmal auf die Entwässerung via Moosalb und Alb und das am Albausgang aus dem Schwarzwald liegende Ettlingen hinweisen. In dem verlinkten Text gibt es ein paar Bemerkungen zur Wassernutzung.

Versucht man statt bis zu den alten Römern nur hundert Jahren zurückzublicken, dann gab es zu dieser Zeit hier oben auf den Rodungsinseln eine Vielzahl von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben mit Hofgrößenordnungen zwischen keinen bis wenigen Kühen. Die Höfe ohne Kuh dann mit Ziege. Gepflügt, die Ernte eingebacht und das Feuerholz im Wald geholt hat man allerdings mit Kühen. Dabei darf man das Mostobst nicht zu vergessen, hier ist eine Mostgegend. Übriggebliebener Most konnte zu Schnaps gebrannt werden.

Blick vom Waldrand oberhalb des Rimmelsbacher Hofs Richtung Mahlberg

Das mit der Landwirtschaft auf Ziegenbasis konnte also nur sehr eingeschränkt funktionieren, wie auch viele Bauerfamilien mit einer oder wenigen Kühen sehr häufig auf weitere Erwerbsmöglichkeiten angewiesen waren. In Ettlingen gab es schon Fabriken, und eine meiner Großmütter ist vor der Ehe zur Arbeit in die Ettlinger Spinnerei marschiert. Man versteht in so einem Zusammenhang, welche Bedeutung die Entfernungen zu den Märkten oder zum Arbeitsplatz hatten. Carsten Wasow hat diese Problematik in seiner Beschreibung von den Ursprüngen der „Kraftpostlinie (Karlsruhe -) Ettlingen - Völkersbach (- Bernbach)“ sehr gut rübergebracht.

Zurück zu den kleinen Landwirtschaftsbetrieben: mein Vater hat mir von Anspanngemeinschaften erzählt, bei denen sich jeweils zwei Familien mit nur einer Kuh zusammengetan haben - und sich dann manchmal gestritten haben, wessen vom Regen bedrohtes Heu zuerst eingefahren wird. Ein interessantes Geschäftsmodell soll denjenigen ohne Kuh von „Viehjuden“ angeboten worden sein: eine dürre Kuh wurde leihweise in den Stall gestellt und mußte im Gegenzug für ihre Dienste auf ein besseres Verkaufsgewicht gefüttert werden. Nach Websuche war Viehjude so ein etablierter Begriff, daß teilweise auch nichtjüdische Viehändler so bezeichnet wurden. Näheres dazu im pdf „Weg und Schicksal der Viehjuden von Esslingen, Cannstatt und Winnenden“

Hinweisschilder oberhalb des Rimmelsbacher Hofs

Zurück auch zum Rimmelsbacher Hof: ich bin mit meinem bayerischen Schatzi das Tal entlang bis hoch zu dieser Sattelfläche spazieren gegangen. Ich kenne mich da natürlich voll aus und ignoriere Hinweisschilder. Schatzi fotografiert die häufig und entdeckt eine „Scheuerklamm“. Ich bin wie gesagt da noch nie runter, ich hatte den Namen noch nie gehört. Ich habe dann meinen Vater nach der Scheuerklamm gefragt. Der meinte, da wären vor dem Krieg viele aus den Dörfern hinunter und dann weiter nach Malsch, weil die jüdischen Händler in Malsch manchmal günstiger als die Ettlinger Händler waren.

Sucht man im Netz, findet man auf den Websites der Alemannia Judaica und der Heimatfreunde Malsch umfangreiche Informationen über das frühere jüdische Leben in Malsch. Die weiterführenden Schulen sind in Ettlingen und ich bin dort mit Schulkameraden aus Malsch und Ettlingen in einer Klasse gewesen und wir haben trotz jeder Menge Drittes Reich im Unterricht nie etwas über die Juden in Malsch gehört.

Abschließend noch die Buchempfehlung „Bischweiler oder Der große Lebold. Jüdische Komödie“ von Claude Vigée in 2 Bänden. Bischweiler/Bischwiller liegt geschätzt etwa 30 km Luftlinie von Malsch entfernt im Elsass. Ich habe den ersten Band zu zwei Dritteln gelesen. Ich wollte ursprünglich erst etwas zu diesem Durchgang beim Rimmelsbacher Hof schreiben, wenn ich beide Bände gelesen habe. Aber das wird noch dauern. Das liegt an mir, das Buch ist eine Perle. Ich habe das Schreiben jetzt wegen den „More Doors“ von Ralf vorgezogen. Das ist sowohl vom Textumfang als auch von dem mittlerweile festgestellten Umstand her vernünftiger, daß in dem Buch bislang die Juden auf der anderen Rheinseite keine Rolle spielen. Das Leben der elsässischen und der badischen Juden scheint sich durch die Rheingrenze getrennt entwickelt zu haben.