Montag, 24. Juni 2013

Herxheim, Teil 2 – Herxheimer Museum

Vom Gelände der ehemaligen Herxheimer Bandkeramiker-Siedlung und ihres vermutlichen Kultplatzes kommt man mit dem Auto schnell und einfach zum Herxheimer Museum. Weil am Internationalen Museumstag in Herxheim zugleich Frühlingsmarkt mit verkaufsoffenem Sonntag und Straßensperrungen gewesen ist, kam bei uns zur kurzen Fahrstrecke noch ein 10-minütiger Spaziergang dazu.

Museum Herxheim

In meiner Blog-Beschreibung gebe ich den Ausgangspunkt München an, und für die meisten Bayern klingt die Herxheimer Steinzeit-Siedlung vermutlich auch räumlich 7000 Jahre entfernt. So schlimm ist es aber nicht. Unser Ausgangspunkt war an dem Tag zwar mein Elternhaus auf der anderen Rheinseite (etwas über 30 Minuten), aber selbst von München ist Herxheim laut Internet-Routenplaner nur 3 Stunden und 12 Minuten entfernt. Von der bekannten Rheintalautobahn sind es nach Herxheim nur 25 Minuten, wenn man bei Karlsruhe abzweigt.

Museum Herxheim

Für die Badener auf der anderen Rheinseite ist die Pfalz ein beliebtes Ziel für den Tagestourismus: Weinfeste. Weineinkauf bei Winzern, die teilweise auch Mahlzeiten auf dem Hof anbieten (etwa den durch den Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl international bekannt gemachten Pfälzer Saumagen). Der Spargel wurde im Mai auf beiden Seiten des Rheins geerntet, und wir sahen auf beiden Seiten öfters Stände mit Spargel und Erdbeeren, wo auch immer die Erdbeeren herkamen. Das Pfälzer Bergland ist ein beliebtes Wanderziel und hat für die Burgenfreunde viel zu bieten. Ich will nicht weiter allgemein auf die touristischen Attraktionen eingehen - bei Interesse sollte man selbst genauer die Ortsnamen und die Kennzeichnungen auf den Karten ansehen und weitersuchen. Jedenfalls: die Pfalz ist hinsichtlich der Attraktionen eine Region der vielen und und unds.

Der Herxheimer Museumsleiter Dr. Alexander Gramsch und seine Mitarbeiterin Maggy Lederle

In „unserem“ Zeitbereich schon erwähnt habe ich das nahe Herxheim liegende Rheinzabern, das in römischer Zeit zeitweise die größte Terra-Sigillata-Manufaktursiedlung nördlich der Alpen gewesen sein soll. Und ein kurzes Stück weiter hin zum Rhein befindet sich der Heimathafen der Lusoria Rhenana. Das etwa 30 Autominuten von Herxheim entfernte Speyer sollte auch nicht vergessen werden. Wir müssen irgendwann nachsehen, wie sich die lokalen Ausgrabungen im dortigen Historischen Museum der Pfalz niedergeschlagen haben. Und für bayerische Königstreue könnte dort die derzeit laufende Sonderausstellung „Königreich Pfalz“ ein Muss sein.

Lehmofen im Museumsgarten Herxheim

Das Herxheimer Museum liegt im Zentrum der Gemeinde und ist auch ohne das Banner in Bild 1 über der Unteren Hauptstraße gut zu finden. Wobei, wenn es zu einfach ist: ich habe das Museum fälschlicherweise fotografisch auf die beiden hinteren Gebäude in Bild 2 reduziert. Das Haus vorne an der Straße, also ganz rechts in Bild 1, war in dem Gebäudeensemble eines ehemaligen Tabakbauernhof das Wohnhaus und wird für Foto- und Gemäldeausstellungen genutzt. Unter dem Haus steht ein Gewölbekeller für Veranstaltungen zur Verfügung.

'Venus von Herxheim'

In dem Gebäude links in Bild 2 befindet sich der Museumseingang mit der Kasse. Im Obergeschoß sind Sonderausstellungen zu sehen. Derzeit eine zum 100. Geburtstag des Herxheimer Restaurators Otto Schultz. Im September soll die Wanderausstellung „Ötzi - Der Mann aus dem Eis“ folgen. Vom Obergeschoß läuft man in das rechte Gebäude hinüber. Dort geht es oben u.a. mit Videos von der Arbeit der Tabakbauern um die jüngere Ortsgeschichte. Die Treppe hinunter in das Erdgeschoß führt in die Steinzeit. Hier geht es um die jungsteinzeitlichen Lebensbedingungen - Ernährung, Wirtschaftsweise, Wohnen. Hier kann auch die „Venus von Herxheim“ in Bild 5 besucht werden. Eine Treppe tiefer im Keller stehen die Funde in den Gruben im Mittelpunkt. Die Fundsituation wird dargestellt. Ausführlich wird die Abfolge der gleichartigen „Zurichtung“ der Toten mittels der Knochenfunde gezeigt. Mittels dem im letzten Posting gezeigten „Kultplatz-Daumenkino“ wird die Lage der Siedlung und Gruben im heutigen Gewerbegebiet veranschaulicht. In einer Bodenvitrine ist ein „normal“ bestatteter Bandkeramiker zu finden (Bild 7). Die Vielfalt und die Bedeutung der verschiedenen in Herxheim gefundenen Keramikstile wird erläutert, und ein Tisch mit Steinzeitrepliken findet sich unten auch. Auf der Museumswebsite gibt es „virtuelle Rundgänge“, auf denen man sich die einzelnen Räume ansehen kann.

Menschen-, Tierknochen, Keramik und Geräte aus den Grubenringen

Hinter dem rechten Gebäude liegt der Museumsgarten. Dort wurde Bild 3 mit dem Museumsleiter Dr. Alexander Gramsch und seiner Mitarbeiterin Maggy Lederle am entstehenden Lehmofen aufgenommen. Bild 4 ist von Dr. Gramsch und zeigt den fertigen Lehmofen, nachdem noch an drei Tagen Lehmschichten innen und außen aufgetragen und der Ofen geglättet wurde. Der Lehmofen muß in dem Zustand noch trocknen und dann gebrannt werden. Zur den Fotos will ich noch erwähnen, daß niemand von den fotografierten Personen viel Zeit gehabt hat. Frau Lederle hat sich durchgängig mit dem Lehmofen beschäftigt. Ich hatte sie zwar vorgewarnt, daß sie im Internet landen wird, aber sie nicht extra gebeten, die Arbeit zu unterbrechen und glücklich in die Kamera zu strahlen. Dr. Gramsch ist wegen uns vom Lehmofen vor zur Kasse gespurtet und bei unserem Gespräch mit ihm am Lehmofen hat hinter ihm schon ein anderes Paar mit Fragen gewartet.

Bestattung entsprechend der Bandkeramiker-Kultur

Im Beitrag zum Kultplatz hatte ich zu den in den Gruben gefundenen Toten geschrieben, daß diese Art der Bestattung bislang von der bandkeramischen Kultur nicht bekannt war. Wer den Film oder den verlinkten Artikel angesehen hat, dürfte mehrfach auf die starke Unterscheidung zwischen den „normalen“ Bandkeramikern (wie in Bild 7) und den Toten in den Gruben gestoßen sein. Dr. Gramsch hat mir dazu geschrieben, daß man im Falle der Gruben überhaupt nicht von Bestattungen spricht: „das Wort passt nicht zu dem, was wir hier vorfinden – es ist wirklich nur der materielle Rest eines komplexen Rituals, eine Entsorgung dessen, was bei dieser (in unseren Augen) 'zerstörerischen' Umwandlung von Mensch und Material übrig blieb.“

Donnerstag, 13. Juni 2013

Herxheim, Teil 1 – Bandkeramiker-Kultplatz

Vor wenigen Jahren hatte es Herxheim mit seinen „Steinzeitkannibalen“ bis auf die vordersten Medienplätze geschafft. Bei Ausgrabungen entdeckte man in umlaufenden Gruben um ein mehr als 7000 Jahre altes Siedlungsgelände der Bandkeramiker eine große Zahl von menschlichen Überresten. Die Anzahl ließ sich nicht mit der kleinen Siedlung erklären. Man hatte offenbar einen steinzeitlichen Kultplatz entdeckt. Viele der Überreste wiesen Spuren von Bearbeitungen nach dem Tod auf. Sie waren regelrecht nach einem bestimmten Schema „zugerichtet“, um die Formulierung aus dem Herxheimer Museum zu übernehmen. Die gleichartige „Zurichtung“ wies auf einen rituellen Hintergrund hin. Diese Art der Bestattung war bislang von der bandkeramischen Kultur nicht bekannt.

Kultplatz-Daumenkino im Museum Herxheim

Die festgestellten Bearbeitungen ließen den Verdacht auf Kannibalismus aufkommen. In diesen Tagen wurde ein Film in Arte zweimal wiederholt, der diese Möglichkeit des Kannibalismus stark in den Vordergrund stellt („Kannibalen - Im Herzen Europas?“). Aktuell kann der Film noch via Internet angesehen werden. Wenn eine Löschregel zieht und man den Film sonst nirgendwo mehr findet, dann suche man ggf. nach der englischen Version „Lost Cannibals of Europe“. Ergänzend sollte man dem jüngsten Link in der Literaturliste des Projekts Herxheim folgen. Der Artikel „'Widely travelled people' at Herxheim? Sr isotopes as indicators of mobility“ von Rouven Turck, Bernd Kober, Johanna Kontny, Fabian Haack und Andrea Zeeb-Lanz ist 2012 erschienen und als pdf kostenlos downloadbar. Es bleibt aber auch mit dem Artikel alles rätselhaft. Viele Tote, die nicht aus der Gegend von Herxheim stammten. Die für die Bandkeramische Kultur untypischen gebirgigen Herkunftsgebiete der Toten und ein breites Spektrum hochqualitativer Töpferware, das wiederum nicht aus den gebirgigen Herkunftsgebieten der Toten stammen konnte.

Kultplatz-Daumenkino im Museum Herxheim

Der Kannibalismus konnte bislang weder bewiesen noch widerlegt werden. Die im Film ab und zu anklingende „günstige Fleischbeschaffung“ kann kein Argument gewesen sein, wenn das Fleisch über so weite Entfernungen beschafft werden mußte. Aus den Schädeln wurden die Schädelkalotten freigelegt, Knochen des Körperskeletts zerschlagen. Möglicherweise stand die Zerstörung im Vordergrund, es wurde auch die hochqualitative Keramik mit Stilvarianten von fast einem Dutzend Regionen der Bandkeramik zerstört. Daneben noch viele andere Gegenstände aus der bandkeramischen Sachkultur.

Die ersten beiden Bilder zeigen Aufnahmen des „Kultplatz Daumenkino“ im Herxheimer Museum, die hier mit der Erlaubnis des Museumsleiters Dr. Alexander Gramsch veröffentlichen darf. Man kann im Museum die Folien nacheinander über ein Luftbild legen und sich so die Lage und die Entwicklung der Siedlung und der Gruben ansehen. Der heutige Kreisel/Kreisverkehr liegt fast im Zentrum der damaligen Anlage. Bild 3 zeigt ein aus mehreren Fotografien erstelltes Panoramabild. Die Fotos für Bild 3 habe ich bei unserem ersten Herxheim-Besuch im Mai 2010 gemacht, die anderen Bilder sind im Mai diesen Jahres am Internationalen Museumstag entstanden. Der Aufnahmestandort für Bild 3 war im Bild 2 zwischen den beiden Straßen in der Bildmitte oben oberhalb der Gruben. Rechts hinten im Bild 3 sieht man das von dort aufgenommene Möbelhaus, das sich im Bild 2 im linken unteren Bildviertel befindet.

Ausgrabung Herxheim 2005-2008

Eine weitere Orientierungshilfe bietet das Luftbild auf der Website des „Projekts Herxheim“. Hier sind zudem die Grabungsflächen der Ausgrabungen 1996-1998 und 2005-2008 angegeben - ich hatte über die Ausgrabungsfläche 2005-2008 fotografiert. Bild 4, 5 und 6 zeigen wie es aktuell im Bereich dieser ehemaligen Ausgrabungsfläche aussieht.

An den Beschriftungen des Projekt-Herxheim-Luftbildes kann man erkennen, daß in den unterschiedlichen Ausgrabungen nicht die kompletten Gruben untersucht wurden bzw. untersucht werden konnten. In dem Text werden Zerstörungen durch den Bau einer Lagerhalle in den 1950er-Jahren und ein Bereich angegeben, in dem entweder keine Langgruben angelegt oder sie durch Erosion zerstört wurden. Ungünstig ist hier die Kaum-Aktualisierung der Projekt-Website – der Literaturhinweis ist toll, aber auf dieser Seite ist halt nur ein „Hier soll ein Grabungsschnitt im Jahr 2009 Klärung über den weiteren Verlauf der beiden Grubenringe bringen.“

Bereich der bandkeramischen Siedlung und des Kultplatzes Herxheim

Wie uns die Museumsmitarbeiterin an der Kasse „ohne Gewähr“ sagte, sind die Ausgrabungen zu den Bandkeramikern an diesem Ort zwar beendet, die Funde würden aber noch weiter untersucht und vermutlich gibt es irgendwann eine neue Publikation. Von Dr. Gramsch haben wir erfahren, daß weiter westlich nach ein paar tausend Jahren jüngeren Kulturen weiter gegraben wird.

2010 sind wir nach dem Besuch des Rheinzaberner Terra Sigillata Museums aus dem Südosten kommend nach Herxheim gefahren. Von da kommt man auf einer Ortsumfahrung schnell zu dem Gelände. Aktuell ging es noch einfacher über die Autobahn 65: bei der Ausfahrt Rohrbach/Herxheim heraus und in Richtung Herxheim weiterfahren. Man befindet sich dann auf der Straße rechts im Bild 3 und stößt schnell auf den Kreisel.

Bereich der bandkeramischen Siedlung und des Kultplatzes Herxheim

Wegen der Kombination eines uralten Kultorts mit einem heutigen Gewerbegebiet hatte ich schon beim ersten Besuch ein sehr zwiespältiges Gefühl. Das liegt auch auf der Hand. Wenn man die Straße rechts in Bild 3 auf den Luftbildern verfolgt, dann liegt daneben ein Fußgänger-/Radweg, dann kommt parallel eine Straße mit Gewerbebebauung, wo wir damals und beim aktuellen Besuch geparkt haben. Die Straße in Bild 3 und der Weg daneben sind zum schnellen Vorwärtskommen und nicht zum Verweilen gedacht. Fußgänger, die sich wie wir rechtwinklig zur Straße und zum Weg bewegt haben - also entsprechend der Richtung der damaligen Gruben - haben wir außer uns nicht gesehen und scheinen bis jetzt nicht vorgesehen zu sein.

Ich weiß nicht, was man idealerweise erträumen sollte - ein Museum vor Ort mit rekonstruierten Bandkeramiker-Häusern und der Möglichkeit unten an konservierten Gruben vorbeizulaufen, um dann oben ohne Autolärm mit Blick auf den Pfälzer Wald darüber nachzusinnen, was die Bandkeramiker sich seinerzeit wohl gedacht haben könnten? Fakt ist aber wohl, daß die besondere Stellung der Funde erst mit den Ausgrabungen erkannt wurde, und die Ausgrabungen wiederum durch das geplante und dann schon teilweise gebaute Gewerbegebiet befördert wurden. Die große - auch internationale - Bekanntheit von Herxheim wurde erst in Folge der Ausgrabung 2005-2008 erreicht, und da waren Möbelhaus und Straßen schon auf dem Gelände gebaut.

Blick aus dem Bereich der bandkeramischen Siedlung und des Kultplatzes Herxheim in Richtung Pfälzer Wald

Eine gute Nachricht ist, daß die Gemeinde Herxheim diese besondere Vergangenheit von der Randlage in ein sehr schönes Museum mitten in die Gemeinde geholt hat. Eine andere, daß man – siehe das „Kultplatz Daumenkino“ – seitens der Gemeinde den Ausgrabungsort nicht hinten runter fallen lässt. Wenn ich eine Bemerkung von Dr. Gramsch richtig verstanden habe, wurde sogar schon eine Hausrekonstruktion von der Gemeinde hier im Gebiet angedacht. Vielleicht ist das auch ein Hinweis für die Leserinnen und Leser, die mit Interesse dem Text bis zu diesem letzten Abschnitt gefolgt sind: einfach auch mal bei Gelegenheit die eigenen Vorstellungen mitteilen - die Wege scheinen in Herxheim kurz zu sein. Wer es bis zur Kasse im Herxheimer Museum geschafft hat, kann dort ja erzählen, ob er oder sie auch am Ausgrabungsort gewesen ist, Grubenmarkierungen vermisst, eine Führung dorthin haben will. Und wer weiß was die neuen Ausgrabungen im Westen bringen – vielleicht gibt es ja einen Archäopfad durch das Gewerbegebiet, wenn wir im Mai 2016 wieder hier fotografieren.