Donnerstag, 5. Januar 2012

Kykladen in Karlsruhe

Mit den „Kykladen. Lebenswelten einer frühgriechischen Kultur“ führt uns das Badische Landesmuseum im Karlsruher Schloss nach dem Jungsteinzeit-Intermezzo vor einem Jahr wieder wie in den Ausstellungen über die Vandalen und die dunklen Jahrhunderte Griechenlands an das Mittelmeer.

Karlsruher Schloss (Rückseite)

Ohne Karte kann man sich mittels der Worterklärung für „Kykladen“ - von kyklos, Kreis, „da die Inseln kreisförmig um Delos, die heilige Insel des Apollon, angeordnet sind“ - und dem in der Ausstellung verwendeten Bild einer „Drehscheibe zwischen griechischem Festland, Kreta und Anatolien“ die Lage der Inseln vorstellen. Von dem Gebiet mit vielen Inseln, das man jetzt vielleicht in den Kopf bekommt, der linke Bereich, also nicht die Inseln rechts direkt vor dem anatolischen Festland, dann passt das so in etwa.

Bei der Kykladen-Kultur geht es um eine Kultur der Bronzezeit, als deren Zeugnisse sind aber vor allem steinerne Hinterlassenschaften bekannt, und zwar besonders Idole wie im fünften Bild (im Museums-Shop gekaufte Nachbildung). Wie im Eingangsszenario der Ausstellung beschrieben, wurde diesen Funden aber bei den ersten Ausgrabungen im 19. Jahrhundert wenig Bedeutung zugemessen. Man hatte seinerzeit einen soliden Hintergrund durch die Texte antiker Autoren, das Ideal war klassisch-griechisch in der Tradition Winckelmanns - ich hatte das Thema Griechenbegeisterung im ersten Teil Agrigent - und Herodot hatte die Kykladen als von kleinasiatischen Karern besiedelt beschrieben, deren Hinterlassenschaften konnten also nicht bedeutend sein.

Kykladen-Ausstellung im Karlsruher Schloss

Erst später trat gegenüber dem angelesenen Wissen der Wert der archäologischen Funde und des archäologischen Fundzusammenhangs stärker hervor. Für die große Bekanntheit der kykladischen Idole bzw. zumindest für ein gewisses „habe ich schon einmal gesehen“-Gefühl sorgten dann aber erst moderne Künstler wie Pablo Picasso, Henry Moore, Hans Arp und Alexander Archipenko, die sich von der „elementaren Einfachheit“ und „bloßen Form“ inspirieren liessen. Am Ende der Ausstellung sind einige Werke zu sehen, eingangs der Ausstellung dient Henry Moore dazu diese Entwicklung zu skizzieren.

Die Ausstellung geht nach dem Eingangsszenario zunächst auf die Lebenswelten dieser frühgriechischen Kultur ein. Das geschieht eher mittelbar über die Gegebenheiten der Inseln. Ein Modell zeigt deren Lage. Es wird beschrieben welche Schätze die Inseln zu bieten hatten - den vor allem in der Steinzeit wichtigen Obsidian von der Insel Melos, Marmor von den Inseln Paros und Naxos, das Schleifmittel Bimsstein von Thera, Silber und Blei von Siphnos, Kupfer zusammen mit den in Kupferlagerstätten zu findenden Färbemitteln Azurit und Malachit auf Kythnos, Seriphos, Siphnos und Kea. Landwirtschaftlich waren die Inseln nur schlecht nutzbar, für den Fischfang und speziell den Thunfischfang aber sehr gut.

Kykladen-Ausstellung im Karlsruher Schloss

In diesem Ausstellungsbereich findet sich auch das angekündigte „rekonstruierte Modell eines kykladischen Langbootes“. Nicht groß, es hätte auf einem Wohnzimmertisch Platz. Es ist - so zumindest mein Eindruck in der Ausstellung - einer der wichtigen Dreh- und Angelpunkte bei der Interpretation der Leistungsfähigkeit und des Niedergangs der kykladischen Kultur. Gegen Ende der Ausstellung wird noch einmal ausführlicher auf die Langboote eingegangen. Vorlage für die Boote sind Ritzzeichnungen, man stellt sie sich als gepaddelte Einbäume vergleichbar derjenigen der Maoris und und den Indianerstämmen der Haida an der Nordwestküste Amerikas vor. Man vergleicht deren Aktionsradien mit den Gegebenheiten der griechischen Inselwelt und kommt zu dem Schluß, daß neben der genannten Drehscheibenfunktion zwischen griechischem Festland, Kreta und Anatolien - in dieser Inselwelt soll bei guter Sicht immer eine Landmarke zur Navigation zu sehen gewesen sein - sogar der Bosporus im Aktionsradius gelegen haben müßte.

Gegenüber gesegelten Schiffen ergab sich der Vorteil, daß man nicht auf günstige Winde für die Befahrung des Bosporus warten mußte. Allerdings ergeben sich auch einige Nachteile: Als geeignete Baumart wurde die griechische Tanne identifiziert. Durch deren Verwendung würde sich mit der Zeit ein Ressourcenengpaß ergeben. Zudem verrottet sie eher als das Holz, aus dem die Planken der minoischen Schiffe gemacht wurden, und die Langboote haben eine geringere Transportkapazität als die gesegelten Schiffe der Minoer.

Kykladen-Ausstellung im Karlsruher Schloss

Anderseits wird auf einer anderen Infotafel auch eine Klimaänderung als möglicher Grund für einen abrupten Wandel um 2250 v. Chr. angeführt, von dem zudem auch das Festland betroffen war, nur auf Kreta hätte es diesen Einbruch nicht gegeben. Die Kykladen sind dadurch zunächst in den Schatten der Minoer und später der Mykener geraten.

Aber zurück zum ersten Teil der Ausstellung mit dem Langboot-Modell. Dort findet sich auch ein Siedlungsmodell mit auffallend viel Befestigungsmauern für relativ wenige Wohnhäuser. Die Siedlungen seien erhöht in Sichtkontakt zueinander angelegt worden, wenige hundert Bewohner bei kleiner Grundfläche. Das passt zu dem Analogieschluß mit Maoris und Haida, nach dem diese Langboote mit vielen Paddlern auch gut für Überfälle geeignet waren. Anderseits wurde der daraus folgende räuberische Aspekt der Kykladen-Kultur in der Ausstellung nicht weiter ausgeführt und belegt.

Kykladen-Idol (Nachbildung)

Stattdessen ist man im weiteren Verlauf der Ausstellung beeindruckt von Gefäßen aus Marmor. Sie „imitieren Tongefäße“ und „verleihen durch das lichtdurchlässige Material Marmor hohen optischen Reiz“. Es gibt „Kykladenpfannen“ mit einem Dekor aus ineinander verwobenen Spiralen, Bronzedolche und natürlich viele Idole, die wohl nach einzelnen Grabstätten typisiert werden und sich in Plastizität, Proportion etc. unterscheiden.

Die Idole waren nicht marmorweiß, sondern bunt bemalt. Da hätte man also eine vergleichbare Situation wie bei den Ägineten, nur daß die wegen zusätzlichen Accessoires wie bemalten Bleilocken vielleicht noch mehr von unseren heutigen Vorstellungen entfernt ausgesehen haben. Im Laufe der Zeit wurden manche Idole mehrfach übermalt, Spuren der früheren Bemalung blieben teilweise erhalten. Eine Projektion zeigt solch unterschiedliche Bemalungen.

Kykladen-Ausstellung im Karlsruher Schloss

Ab dem Bereich mit der Projektion geht die Ausstellung räumlich gedrängter über in die genannten Teile mit den Langboot-Analogieschlüssen und der Reflektion durch moderne Künstler. Eine umfangreichere Ausstellungsfläche davor erscheint verglichen zu früheren Ausstellungen deutlich lockerer besetzt. Vielleicht steht das im Zusammenhang mit erwarteten Ausstellungsstücken aus Griechenland, die man aufgrund eines Streits um Raubgrabungen nicht bekommen hat. Das ist aber jetzt reine Spekulation. Bei dem Streit um Raubgrabungen dreht es sich um zwei Idole, die man vor einer Zeitgrenze erworben hat, für die Deutschland rückwirkend entsprechende Verfahrensregeln der Unesco anerkannt hat.

In einer kleinen Presseschau im Eingangsbereich des Schlosses wird ein Schaden für die Ausstellung entweder nicht angesprochen oder durch zwei Autoren verneint. Interessanterweise mit demselben Argument, dem großen eigenen Bestand der Karlsruher. Das Problem der Raubgrabungen wird in der Ausstellung allgemein thematisiert, ebenfalls im gedrängten letzten Teil. Es geht dabei um die zeitliche Zuordnung, die ohne den Fundzusammenhang nicht mehr möglich ist, und um das Problem zahlreicher Fälschungen, die mit dem steigenden Interesse an den Idolen aufgetaucht sind.

Kykladen-Ausstellung im Karlsruher Schloss

Die eigenständige Blütezeit der Kykladen-Kultur müßte nach meinem Verständnis vom Wechsel Steinzeit zur Bronzezeit um 3000 v.Chr. bis zu der oben genannten Zeit um 2250 v.Chr. gegangen sein. Zahlreiche Ausstellungsstücke sind entsprechend datiert - 3200-2900 und 2700-2400. Die in der Ausstellung genannte eigentlich klare Abfolge kann ich jetzt nur schwer mittels der Wikipedia nachvollziehen. Also vielleicht sollte man hier bei stärkerem Interesse an den Daten und den Übergängen den Ausstellungskatalog in das Auge fassen. Ich habe darin im Shop nur angefangen zu blättern und dann schon meinen Schulfreund im Foyer gesehen, mit dem ich die Ausstellung besuchen wollte (Wintersonne im „Mitglieder“-Bereich rechts oben). Die Presseabteilung könnte natürlich auch versuchen die Wikipedia zu aktualisieren oder eifrigen Wikipedianern Kataloge zukommen zu lassen. Mehr Leser als einzelne Presseartikel zur Ausstellung werden diese Kykladen-Artikel in der Wikipedia sehr wahrscheinlich haben.

Was wir in der Ausstellung beide vermisst haben - vielleicht ist da auch etwas dazu im Buch - waren Einflüsse der Kykladen-Kultur auf die Nachbarkulturen. Es gab offenbar durch die Kultur geprägte Siedlungen auf dem griechischen Festland und auf Kreta und einzelne Objektfunde außerhalb. Aber in der Ausstellung war kein Nachwirken in dem Sinne zu sehen, daß Minoer oder Mykener Idole so aufgegriffen und in ihr Schaffen eingebaut hätten wie Pablo Picasso oder Henry Moore.

Kykladen-Ausstellung im Karlsruher Schloss

Zum Multimedia-Guide: erstmalig gibt es im Karlsruher Landesmuseum eine App zur Ausstellung. Anscheinend nur iPhone, und wer kein iPhone hat kann ein iPad ausleihen. Zum Fotografierverbot: war glaube ich in den Karlsruher Sonderausstellungen immer so. In den Dauerausstellungen darf man laut Info an der Kasse fotografieren, die Bilder aber nur mit Erlaubnis der Presseabteilung in das Internet stellen. Ich will das jetzt nicht ausdiskutieren (ich habe nie versucht, in Karlsruhe die Erlaubnis für Innenaufnahmen zu bekommen, es gibt schon relativ viele Bilder beim Landesmuseum, sogar ein digitaler Katalog ist im Bau, es gibt Bilder beim Landesbildungsserver Baden-Württemberg u.ä.. Das Fotografieren stört in gutbesuchten Ausstellungen, und die Sonderausstellungen sind oft sehr gut besucht. Viele der Texte in der Ausstellung braucht man nicht fotografieren, um sich Notizen zu sparen, man kann sie von der Museumswebsite herunterladen. Die generelle Fotografiererlaubnis würde vielleicht gegenüber den Leihgebern Probleme bereiten. An eine Kannibalisierung des Katalogverkaufs glaube ich dagegen nicht, mit dem Argument müßten bei den vielen Tierpark-Sendungen im Fernsehen alle Zoos mittlerweile unter massivem Besucherschwund leiden. Und zur Preisliste beim Digitalen Katalog würde mich wie bei anderen derartigen Bilderdiensten mal eine Gegenüberstellung des zusätzlichen Aufwands gegenüber dem Ertrag und den entgangenen Vorteilen beim Museums-Marketing interessieren).

Aber aus meiner Sicht beisst sich App und iPhone mit dem Fotografierverbot. Das Fotografierverbot ist mit dem iPhone in der Hand nicht kontrollierbar und es holpert auch bei der Kommunizierbarkeit. Für Veranstaltungen wie die Tweetups wäre so ein Fotografierverbot schon eine Einschränkung. Meinen Gedanken zum Tweetup, daß auch genug Leute kommen sollten, die nicht aus der Szene Museumsmitarbeiter/Dienstleister kommen, sehe ich da in anderem Licht. Vielleicht wäre es gerade für die Museumsleute gut, so etwas mal mitzumachen. Die klassischen Medien sind beschränkt, ich habe in keinem der ausgehängten Presseartikel einen Hinweis auf die App-Neuerung gesehen. Zwangsläufig fallen auch viele andere Dinge unter den Tisch, ich gehe ja jetzt auch nicht mehr auf das sehr interessante Begleitprogramm ein (auf der Museumswebsite im herunterladbaren Flyer ). Mittels sozialen Medien könnten die Besucher/Teilnehmer angeregt werden, selbst Werbung für das zu machen, was ihnen gefallen hat.

2 Kommentare:

Marie hat gesagt…

Hat die helle Skulptur in der Mitte des Artikels einen Namen? Danke für die Info, Viele Grüße, Marie

Jürgen Kunz hat gesagt…

Ich glaube nicht. Wäre wohl verkaufsfördernd wenn es Infos zu den Vorlagen gäbe (es gibt mehrere Skulpturen zur Auswahl), habe aber davon nichts mitbekommen.

Viele Grüße, Jürgen