Bis zum 15. Mai 2011 kann im Badischen Landesmuseum im Karlsruher Schloss noch die Ausstellung „Jungsteinzeit im Umbruch - Die "Michelsberger Kultur" und Mitteleuropa vor 6000 Jahren“ besichtigt werden. Das Thema ist abweichend von den letztjährigen Ausstellungen über die Vandalen oder über die „dunklen Jahrhunderte“ Griechenlands sehr nahe liegend - der für die Michelsberger Kultur namensgebende Michaelsberg beim Bruchsaler Stadtteil Untergrombach ist nur wenige Kilometer entfernt.
Dennoch wurde kein lokales Thema daraus gemacht - wenn auch der Besucher zunächst durch einen rekonstruierten Erdwerks-Eingang läuft und hier die lokalen Funde von den Erdwerken bei Bruchsal und bei Bruchsal-Untergrombach die Hauptrolle spielen. Zum einen war der Michaelsberg namensgebend für eine großräumige Kultur. Das vor allem deshalb, weil hier schon früh archäologische Untersuchungen stattfanden. Zum anderen ist die Fundsituation auf dem üblichen Boden („Mineralboden“) nicht so gut wie in den Feuchtbodensiedlungen im Voralpenland, wo sich auch Bauhölzer, Holzgeräte und Pflanzenfasern erhalten haben, so daß die Ausstellung Exponate dieser Nachbarkulturen nutzt, um die jungsteinzeitliche Ausstattung umfassender darstellen zu können. Und schließlich waren diese Kulturen europäisch vernetzt, was in der Ausstellung durch Metallfunde und Jadeit-Beile dargestellt wird.
Das meiste aus der Michelsberger Kultur mag verloren sein. Aber bei dem wenigen, das gefunden wurde, scheint nach einer Karte mit Fundmarkierungen die Gegend bei Bruchsal und besonders die von Heilbronn vergleichsweise ergiebig gewesen zu sein. In dem Sinne finde ich es ganz gut, daß es derzeit außer in Karlsruhe auch im nahen Güglingen und in Heilbronn Steinzeitausstellungen gibt. In Güglingen ist „Älteste Spuren: Die Alt- und Mittelsteinzeit im Heilbronner Land“ bis zum 17.07.2011 und in Heilbronn „Steinzeit-Großbaustellen. Befestigte Siedlungen im Heilbronner Land“ noch bis 22.05.2011 zu sehen.
Beim Durchblättern des umfangreichen Prospekts (20 Seiten) zur Karlsruher Sonderausstellung sehe ich als einzigen Hinweis auf die beiden anderen Ausstellungen nur das ermäßigte Kombiangebot zusammen mit der Heilbronner Austellung auf der letzten Seite.
Aber was soll man zu diesen fehlenden Informationen sagen, wenn selbst der Hinweis auf die eigenen sehenswerten Stücke in der Dauerausstellung unterlassen wird? Ich hatte das Thema schon im Blog-Eintrag „Dauer- versus Sonderausstellung“. In Karlsruhe gehe ich immer noch im Mithräum im Keller vorbei, wo selbst bei gut besuchten römerlastigen Sonderausstellungen sonst niemand zu finden ist.
Im Falle der Jungsteinzeit-Ausstellung bin ich noch in den Jungsteinzeit-Bereich der Dauerausstellung, ebenfalls im Keller des Westflügels. Abgesehen von den Exponaten in der Michelsberger Vitrine schien nichts zu fehlen. Besonders sehenswert die dort aufgestellten Rekonstruktionen: ein Webstuhl, zwar mit bronzezeitlichem Vorbild, aber das Grundkonzept in der Jungsteinzeit könnte aufgrund von aufgefundenen tönernen Webgewichten ähnlich gewesen sein. Dann zwei steinzeitliche Geräte, die man sogar selbst bedienen darf: eine „Pendelsäge“ zum Sägen und eine „Bohrmaschine“ zum Durchbohren von Steinen.
Oben in der Sonderausstellung fragt man sich, wie die damals die Löcher in die Steinbeile gekriegt haben. Und unten in der Dauerausstellung sieht man eine verblüffend einfache Lösung: ein hohler Holunderstab wird mit einem Holzbogen hin und her bewegt, und wenn zwischen Holzröhre und Stein Quarzsand geschüttet wird, dann reicht die Reibung zum Bohren aus. Ich war allein mit der Aufsichtsdame und habe sie gefragt, ob viele von der Sonderausstellung oben herunterkommen. Sie hat gemeint, es kämen oft Schulklassen mit ihren Lehrern.
Die Sonderausstellung oben fand ich ganz gut. Wenn es auch damit haperte, das Gefühl für den „Umbruch“ zu bekommen. Es sind so riesig lange Zeiträume. Dann und wann kommt etwas neues dazu - Rad, Metalle - wobei das für mich mehr als graduelle Veränderung rüberkam. Vernetzung und Handel muß es ja schon vorher gegeben haben, Boote als Transportmittel standen schon zu Verfügung und sind nach Schätzungen zu den Verhältnissen in der Römerzeit mit besseren Wägen und Straßen wesentlich ökonomischer als der Landtransport. Wie brachte da das Rad einen Umbruch? Die große abrupte Veränderung wurde für mich nicht sichtbar.
Und die Fundverteilung der Metalle hat ihren Schwerpunkt in den Gebieten östlich/südöstlich des heutigen Deutschlands. Etwa das Stiergespann aus Kupfer aus Bytyn oder eine vorgestellte Goldscheibe aus Transdanubien. Eine „Kupferzeit“ ist als Epochenbegriff für diese Länder wirklich relevant, während sich der Begriff für unsere Gebiete nicht durchsetzen konnte. Vermutlich weil in dieser Zeit vorrangig nur importiert wurde und es nicht zu einer Übernahme der ganzen Technologie kam? (Im Keller gibt es übrigens beim Übergang in die Bronzezeit auch eine Skizze eines Kupferbergwerks).
Die ungenügende Fundsituation habe ich schon angesprochen. Das geht so weit, daß in der Literatur gewarnt wird den Begriff „Kultur“ zu wörtlich zu nehmen, weil die zeitliche und räumliche Zuordnung der Funde zu Gruppen vorrangig auf Basis der Keramik erfolgt und darüber hinaus sehr wenig von dem bekannt ist, was normalerweise eine Kultur ausmacht.
Im Falle der Michelsberger Kultur ist anscheinend weitgehend ungeklärt, welche Rolle die charakteristischen Erdwerke eigentlich spielen. Man möge auf der in meinem Blog-Eintrag über die Erdwerke im Braunschweiger Land angegebenen Projekt-Website dazu stöbern (daneben finden sich dort noch weitere weiterführende Links). Die Funde lassen daran zweifeln, daß es sich bei den Erdwerken um Verteidigungsanlagen handelte. Aber was war es dann, Kultort, Viehpferch, ...?
Und wie wurde der Lebensunterhalt gesichert? Bei Bruchsal habe ich immer „gute Böden“ und uraltes menschliches Siedlungsgebiet im Kopf. In der Ausstellung gibt es die Angabe, daß Auerochsen die wichtigsten Jagdtiere waren und vermutlich 20-30 % des Fleischbedarfs gedeckt haben. Also eine Ackerbau-Kultur mit etwas Jagd und Haustierhaltung nebenher? Anderseits wird im „allgemeineren“ Teil der Ausstellung die Brandrodung thematisiert, mit der weniger begünstigte Böden zum Preis eines hohen Landverbrauchs für kurze Zeit fruchtbar gemacht werden konnte. Ein Artikel im Katalog (24,90 Euro, Primus-Verlag) beschreibt darüber hinaus eine Nutzung mit Viehherden, bei der man großflächig Wälder abholzte und das Laub bestimmter Baumarten als Viehfutter verwendete.
Es wäre ganz nett, wenn man solche Aussagen, wenn sie einigermaßen belastbar sind, als Basis in eine geeignete Software eingeben könnte, die dann in der Landschaft mit Zeitschieber Äcker und Weideland generiert. Und darauf aufbauend könnten die Experten vielleicht noch verschiedene Theorien abbilden und so verschiedene Alternativen visualisieren, und die Laien könnten alles im Zusammenhang sehen und zuhause die Alternativen durchklicken. Ich glaube fest daran, daß so etwas irgendwann kommt und für alle Beteiligten zum Verständnis der Welt hilfreich sein wird.
In Karlsruhe gibt es so etwas noch nicht zu sehen. Dort gelangt man nach dem rekonstruierten Erdwerks-Eingang zu einem Erdwerks-Modell, um das sich herum Vitrinen mit Keramik und Knochen befinden. Die Knochen sind befremdlich und regen wie Herxheim grausliche Phantasien an: ein abgetrennter Vorderschädel einer jungen Frau, möglicherweise als Gesichtsmaske verwendet. Menschliche Knochen mit Tierverbiss, ein Knochen nach Tierverbiss bearbeitet, also möglicherweise nachdem er durch einen Hund in die Siedlung geschleppt wurde. Und das bei sehr wenigen Funden von menschlichen Überresten im Verhältnis zur geschätzten Bevölkerungszahl.
Auf der Projektseite zu den Erdwerken im Braunschweiger Land ist der Gedanke zu finden, daß möglicherweise unterwegs bei Weidezügen Gestorbene später zu den Erdwerken gebracht wurden. So im Sinne Kultort hat Herxheim eine überregionale Bedeutung gehabt, dessen vermuteter großer Einzugsbereich sich nicht mit Weidezügen erklären läßt. Herxheim liegt Bruchsal räumlich sehr nahe, die ausgegrabenen Knochen dort kamen aber mehrere Jahrhunderte zuvor in die Gruben. Was heißt das nun wieder? War der heute grauslich wirkende Umgang mit den Toten über Jahrtausende normal? Anderseits, wie „normal“ würden wir auf die Jungsteinzeitler wirken? Die konnten vermutlich schneller ein Tier auseinandernehmen als wir heutzutage ein technisches Gerät und wußten auch noch, wie die jeweiligen Teile schmecken. Wir finden davon das meiste eklig und zimpern bei jeder Gelegenheit herum, wollen aber trotzdem gern leckere Steaks essen.
Der Michelberger Teil geht in der Ausstellung mit den Gefäßen anderer Kulturen zu Funden aus den Feuchtbodensiedlungen über. Vormals hießen die Pfahlbausiedlungen, das ist aber jetzt nach Ausstellung out. Wie schon oben gesagt, haben die Feuchtbodensiedlungen den Vorteil, daß mehr erhalten bleibt. Der folgende Ausstellungsteil wäre also verallgemeinernd zu sehen - so oder so ähnlich kann es auch bei den anderen Jungsteinzeitlern ausgesehen haben: ein Nachbau einer Hauswand auf Basis von am Bodensee gefundenen Lehmresten mit weißer Bemalung und Lehmbrüsten aus der älteren Pfyner Kultur zeigt, daß die Leute nicht mit kahlen Wänden gelebt haben. Mit den Funden kann man auf Bastkleidung und Flechtschuhe und Schmuck aus Bären- Eber- und Hundezähnen rückschließen. Es gibt Sichelklingen, Schaber, Messer, einen Furchenstock, Beilholme, Hacken, Steinbeile und Beispiele für die vielseitige Verwendbarkeit von Hirschgeweih und Birkenrinde zu sehen.
Die bayerischen Leser seien hier auf einen im Blog-Eintrag über die Roseninsel verlinkten Artikel der Augsburger Allgemeinen von 2009 hingewiesen. Die dort erwähnte starke Stellung des Bodenseeraums bei den Funden drückt sich auch in der Karlsruher Ausstellung aus. Aber der Artikel gibt Hoffnung: „Die Fundstätten in Bayern sind noch am wenigsten erkundet.“
Die Steinbeile leiten in der Ausstellung zum letzten Abschnitt über, zu dem sind bei mir die Stichworte Vernetzung und Prestigegüter hängengeblieben. Das Rad steht für die zunehmende Vernetzung. Die zunehmende Vernetzung und die Herrschaft über die Verteilungswege könnte eine Hierarchisierung gefördert haben, was sich durch Funde von Prestigegütern ausdrückt. Also beispielsweise durch aufwendige Steinbeile, die niemals für einen praktischen Zweck eingesetzt wurden. Oder durch Beile aus Jadeit, die extrem aufwendig in der Herstellung und kaum für eine praktische Anwendung geeignet waren und zudem weitverzweigte Handelswege belegen. Denn es gibt nur die italienischen Westalpen als Materialquelle, die Beile wurden aber in einem großen europäischen Gebiet gefunden.
Ähnlich der Metallschmuck. Die Kupferstiere habe ich erwähnt. Seltener war Gold, noch seltener Silber. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von uralten Goldbuckelscheiben und Kupferspiralen. Wieder gibt es eine weite europäische Verteilung der Funde, nur ist die Fundverteilung dieses Mal nicht von den Westalpen, sondern von den metallurgisch führenden Ländern östlich/südöstlich des heutigen Deutschland ausgehend.
Wie ich oben schon geschrieben habe, fand ich die Sonderausstellung ganz gut. Ich glaube, da spielt ein Gefühl der Befriedigung hinein - die Ausstellung mußte bei der lokalen Bedeutung einfach kommen. Das Gefühl erklärt sich, wenn man die zahlreichen hochrangigen Exponate der Sonderausstellung mit den doch eher dürftigen Möglichkeiten der Dauerausstellung vergleicht. Wegen der Rätselhaftigkeit dieser Jungsteinzeit-Welt mag ich es kaum schreiben, aber ich glaube schon, daß sie mit der Ausstellung ein wenig fassbarer geworden ist.
Wer die Ausstellung ebenfalls besuchen will, mag sich zuvor den Podcast zur Ausstellung und das Veranstaltungsangebot ansehen. Am besten hangeln Sie sich auf der Website des Landesmuseums zum erwähnten Prospekt (= Flyer) durch, dort ist auch das Museumsfest „Baden in der Jungsteinzeit - Baden heute“ vom 13. bis 15. Mai 2011 drin. Bei den „Events“ auf der Website sehe ich das Museumsfest jetzt nicht.
Zu den Bildern: die letzten Male haben wir/ich auf dem Weg in das Landesmuseum hinter dem Schloss bei der Majolika geparkt. Wer als Ortsunkundiger die Majolika gefunden hat, findet auch zum Schloss. Und zurück geht es entlang der Fliesen im ersten Bild. Was hinter dem Schloß stattfand weiß ich nicht, normalerweise sieht der Rasen schön ordentlich aus. Wer neben den Parkplatzgebühren auch den Eintritt in die Sonderausstellung sparen will, der könnte versuchen in das Schlosscafé links vom Turm zu gehen und von dort in die Ausstellung herüberzuwechseln. Ich bin brav um das Schloß herum gelaufen und habe die 8 Euro Eintritt bezahlt. Der Platz vor dem Schloß wird derzeit umgestaltet.
Donnerstag, 31. März 2011
Jungsteinzeit in Karlsruhe
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