Freitag, 28. Januar 2011

Neues von den Ägineten in der Münchner Glyptothek

Als Ägineten werden die Giebelskulpturen bezeichnet, die früher den Aphaia-Tempel der griechischen Insel Ägina geschmückt haben und heute in der Münchner Glyptothek bewundert werden können. Münchner, die von den Ägineten noch nichts gehört und an Giebelskulpturen wenig Interesse haben, müssen jetzt trotzdem weiterlesen, denn die Ägineten sind eine der ganz großen Nummern, die München zu bieten hat.

Warum? Es gibt fast keine vergleichbar erhaltene Giebelskulpturen. Und es gibt die Ägineten gleich in doppelter Ausfertigung in der Münchner Glyptothek - Skulpturen vom Ost- und vom Westgiebel - mit der weiteren Besonderheit, daß beide Skulpturengruppen um 500 v.Chr. in zeitlichem Abstand voneinander entstanden sind und den Übergang von der griechischen Archaik zur Frühklassik dokumentieren. Die Skulpturen des Westgiebels werden der Archaik zugerechnet, die des jüngeren Ostgiebels schon der Frühklassik. Auch ist der Aspekt der „antiken Polychromie“ zu erwähnen. Schon bei der Ausgrabung 1811 wurden Farbreste entdeckt und im 19. Jahrhundert international diskutiert. In jüngerer Vergangenheit ist dieses Thema durch die Ausstellung „Bunte Götter“ wieder aufgelebt, die ausgehend von der Münchner Glyptothek 2003/2004 mit bemalten Repliken von Ägineten weltweit durch namhafte Museen wanderte.

Neben dem Attribut „nicht bunt“ für antike Skulpturen geistert ja auch fälschlicherweise „nur Stein“ in den Köpfen herum. Stattdessen muß es bei den Ägineten teilweise „bleiernes Stirnhaar“ gegeben haben, von dem nur ein Loch zur Befestigung und unterschiedliche Verwitterungsspuren im Marmor geblieben sind, aus denen man ungefähr auf die Frisur rückschließen kann. An anderer Stelle hat man zahlreiche Befestigungslöcher für Bleilocken, von denen noch zwei gefunden werden konnten.

Neben den metallenen sind aber auch die steinernen Bestandteile nicht komplett. Teilweise kann man aus Überresten schließen, wie das früher ausgesehen hat. Etwa auf in die Stirn ragende Fangzähne bei einem Helm in Form eines Löwenkopfes, der statt der Fangzähne nur noch Abbruchstellen hat, oder bei einem anderen Kämpfer auf einen verschwundenen steinernen Helmbusch, weil auf dessen Rücken noch der stabilisierende Verbindungssteg übrig geblieben ist.

Von den Ägineten bin ich letztes Jahr gleich mehrfach angestupst worden. Zunächst via Phemios Aoidos, dessen Bezeichnung „Kronjuwelen der Glyptothek“ ich im Blog-Eintrag über die Münchner Glyptothek zitierte. Später bei der langen Nacht der Münchner Museen. Wir waren zwar etwas erholungsbedürftig und hatten vermieden, uns in der Glyptothek etwas erklären zu lassen, aber doch kurz bei den Ägineten mit einem Herrn mit Namensschild gesprochen, der die Ägineten als „unsere besten Stücke“ bezeichnete. Schließlich hat mir der im zweiten Teil Agrigent erwähnte Herr Dr. Mayer seinen Vorfahren Professor Ernst Mayer auch mit der Bemerkung vorgestellt, daß er die ihm als Mitarbeiter von 1821-1825 im Atelier Thorvaldsen in Rom bekannten Ägineten in München Anfang November 1827 ausgepackt und aufgestellt hat.

Passend wurde am 2. Dezember letzten Jahres ein Vortrag von dem Direktor von Glyptothek und Antikensammlungen, Professor Dr. Raimund Wünsche, mit dem Titel „Die Ägineten - Probleme der Deutung“ angeboten. Da mußte ich hin, die beiden Bilder von der Glyptothek und den Antikensammlungen habe ich an diesem Abend aufgenommen. Die Veranstaltung fand im Rahmen der regelmäßigen Führungstermine in der Glyptothek und den Antikensammlungen (Donnerstag bzw. Mittwoch) vor Ort bei den Ägineten statt. Es gibt wenig feste Sitzgelegenheiten, aber an der Wand stehen genügend Klappstühle, mit denen man während des Vortrages auch gut in den Nebenraum zu den Skulpturen des anderen Giebels wechseln konnte. Anwesend waren schätzungsweise 30 - 40 Zuhörer. Wir wurden am Eingang mit Funkempfängern mit Ohrhörern ausgerüstet, so daß man dem Vortrag akustisch problemlos folgen konnte.

Münchner Glyptothek


Im Vortrag ging es darum, wer in den Giebelgruppen dargestellt wurde. Was dargestellt wurde ist anscheinend unstrittig: der später fertiggestellte Ostgiebel bezog sich auf den ersten, der ältere Westgiebel auf den zweiten Trojanischen Krieg. Allgemein bekannt durch Illias und Odyssee ist der zweite Trojanische Krieg. Im ersten Trojanischen Krieg töteten Telamon und Herakles den Trojanerkönig Laomedon und seine Söhne, abgesehen von Priamos. Im zweiten Trojanischen Krieg ist der überlebende Priamos König der Trojaner. Wichtig für das Verständnis ist der Bezug zu Ägina: der Telamon aus dem ersten Trojanischen Krieg ist Sohn des Aiakos, einem König von Ägina. Und ein Sohn des Telamon und Enkel des Aiakos nimmt wiederum am zweiten Trojanischen Krieg auf Seiten der Griechen teil, das ist Aias, in anderer Schreibweise Ajax.

Bei den Dargestellten gilt die Göttin Athene als sicher, die jeweils in der Mitte beider Giebelgruppen steht. Außerdem in der Ostgiebelgruppe Herakles wegen des erwähnten Löwenkopfhelms. Aias in der Westgiebelgruppe gilt wegen des noch erkennbaren Schildzeichens als sehr wahrscheinlich identifiziert.

Nach gängiger Interpretation sind die Kämpfer in ausgeglichene Kampfszenen eingebettet. Wenn Herakles als Bogenschütze einen gegnerischen Trojaner niederstreckt, dann muß an anderer Stelle ein Grieche fallen. Wenn Aias als erfolgreicher Kämpfer an prominenter Stelle direkt neben der Athene steht, dann muß der erfolgreiche Kämpfer an ihrer anderen Seite ein Trojaner sein, möglicherweise Hektor. Ich werde das nicht weiter erzählen, Sie können es mittels der am Schluß angegebenen Links nachlesen und sich ansehen.

Professor Wünsche hat dem Abend eine andere Interpretation dagegen gestellt: die Sieger in beiden Kampfszenen sind die Griechen, die Verlierer die Trojaner, wer fällt und stirbt muß folglich ein Trojaner sein, und die beiden am prominentesten dargestellten siegreichen Kämpfer rechts und links der Athene sind in beiden Giebelgruppen Griechen. Bei den beiden Griechen an der Seite der Athene vermutete er bei dem Ostgiebel Telamon und Peleus, beim Westgiebel Achill und Aias. Professor Wünsche erklärte das plausibel mit ihrer Beziehung zur Insel Ägina: alle sind Abkömmlinge des Königs Aiakos, Peleus und Telamon sind seine Söhne und Achilleus und Aias seine Enkel.

Nach dieser Interpretation kann der Bogenschütze vom Westgiebels, dessen bemalte Replik häufig im Zusammenhang mit den „Bunten Göttern“ zu sehen war, nicht mehr der trojanische Königssohn Paris sein. Er wäre dann eher ein skytischer Bogenschütze in Diensten der Griechen. Später ist mir dann der Herakles eingefallen - wenn in der zweiten Reihe Namenlose zugelassen werden und die Bedeutung vor allem auf den beiden hervorragenden Kämpfer rechts und links der Athene liegt, wie paßt das mit dem am Rande knienden Herakles zusammen? Da bin ich ergänzend an einem ausführlicheren Text zu dieser Interpretation interessiert, habe aber noch nichts gefunden.

Jetzt zum gefundenen Lesestoff. Einarbeiten in die Ägineten lohnt sich, denn ab Frühjahr 2011 soll es eine große Ausstellung in der Glyptothek geben, die sich mit den Ägineten-Ergänzungen von Bertel Thorvaldsen von befasst. Ich hatte Sie ja im zweiten Teil Agrigent auf diese Ergänzungen am Beispiel des Barberinischen Fauns hingewiesen und auch den erst kurz zuvor von Herrn Dr. Mayer gelernten Begriff „Purifizierung“ erwähnt. Die Ägineten wurden über 100 Jahre lang mit Ergänzungen von Bertel Thorvaldsen ausgestellt, die 1963 bei der „Purifizierung“ abgenommen wurden.

Staatliche Antikensammlungen München

In der Ausstellung sollen Thorvaldsens Ergänzungen an Kunstmarmorabgüssen der Ägineten zu sehen sein. Außerdem wird auch der „Paris“ neu eingekleidet zu sehen sein, dieses Mal nicht nur angemalt, sondern mit einem Gewand in Sprangtechnik. Lesen Sie dazu mehr in diesem Text von Raimund Wünsche in der Zeitschrift Aviso (ab Seite 20 in der pdf-Datei).

Professor Dr. Raimund Wünsche wurde von Jürgen Martin Möller im Rahmen des Alpha-Forums interviewt, in dem über die Glyptothek und seine frühen Beziehung zur Insel Ägina erzählt. Auf die Museums-Website können Sie ebenfalls einen Blick werfen. Sie sehen da gleich einen fallenden Ägineten aus dem ersten Trojanischen Krieg.

Ich hatte mich vor dem Vortrag mit der Wikipedia und mit der Website von Thomas Gransow kundig gemacht. Außerdem habe ich noch diese Website von Dr. Benno Kuppler mit einem älteren Aviso-Text über die seinerzeitige Münchner Bunte-Götter-Ausstellung gefunden.

Und im Projekt Gutenberg gibt es mehr zum ersten Trojanischen Krieg. Nach dem Vortrag mußte ich mich natürlich über Aiakos informieren, da ist wieder die Wikipedia hilfreich, mit der Sie sich die Söhne entlang über Peleus und Telamon zu Aias und Achill durchhangeln können.

Wenn Sie in den Texten herumstöbern werden Sie Verweise auf Adolf Furtwängler und sein Buch „Die Aegineten der Glyptothek König Ludwigs I. nach den Resultaten der neuen Bayerischen Ausgrabung“ von 1906 finden, das Buch gibt es digitalisiert bei der Universität Heidelberg.

Wie Sie sehen ist die Schreibweise uneinheitlich, mal Ägineten, mal Aegineten, seltener Aigineten, bei einer Suche wäre das zu berücksichtigen. Ich habe mich an der Schreibweise der Glyptothek orientiert.

Die Bleilocken habe ich nicht aus online verfügbaren Texten, sondern aus dem Buch „Glyptothek München. Meisterwerke griechischer und römischer Skulptur“ von Professor Wünsche. Es ist zwar noch die alte Interpretation der Ägineten drin, aber ich kann Ihnen das Buch trotzdem empfehlen. Machen Sie es wie ich: gehen Sie in der Vorweihnachtszeit in einen Vortrag von Herrn Professor Wünsche, kaufen Sie am Eingang ein paar Exemplare und bitten Sie ihn nach dem Vortrag die Exemplare zu signieren. Sparen Sie sich Kaufpanik in der Innenstadt und verwenden die Bücher als Nikolaus- oder Weihnachtsgeschenk und dann leihen Sie sich eines davon aus, um das mit den Bleilocken nachzulesen!

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