Mitte Mai waren wir in der einen Monat später beendeten Ausstellung „Die Etrusker — Weltkultur im antiken Italien“ des Badischen Landesmuseums im Karlsruher Schloss.
Die letztes Jahr am selben Ort gezeigte Ramses-Ausstellung hatten wir ausgelassen und sind seinerzeit stattdessen in „Amerika nach dem Eis“ im Karlsruher Naturkundemuseum gegangen. Ein Argument gegen die ausgelassene Ramses-Option war, daß ich von dieser Ausstellung nur neue Wissensverästellungen für einen unterproportionierten Stamm befürchtete. Das erklärt sich dadurch, daß ich selbst große ägyptische Spezialthemen wie Ramses nur mit einigem Nachlesen in ihr Umfeld einsortieren kann. Bei einer allgemeinen Etrusker-Ausstellung würde ich das aber wegen der engen Verbandelung mit anderen Kulturen genau andersherum sehen: selbst jemand der sich nur mit Kelten, Griechen oder Römern beschäftigt und keinen besonderen Etrusker-Bezug hat, sollte gewinnbringend in so eine Etrusker-Ausstellung gehen können.
Die Karlsruher Ausstellung entsprach diesen Erwartungen. Bei den in zeitlicher Abfolge aufgebauten Ausstellungsstücken wurde man nahe des Eingangs von einer „Grabstele aus Casale Marittimo, Nekropole von Casa“ begrüßt, die an die keltischen Grabstelen von Hirschlanden oder vom Glauberg erinnerte. Und ziemlich am Schluß — ein wenig über die neuzeitliche Etrusker-Wiederentdeckung folgte noch — sah man das Standbild des Aule Metele. Der sieht wie ein Römer aus, gibt sich aber durch eine Inschrift als waschechter Etrusker zu erkennen. Und zwischen Grabstele und Aule Metele nahm das große Spannungsfeld zwischen etruskischen Eigenständigkeiten, etruskischer Produktion im dominierenden griechischen Stil und griechischen Importen einen breiten Raum ein.
Dieses Spannungsfeld ist ein Klassiker der Etrusker-Rezeption. Ein paar Tage nach der Ausstellung fand ich in einem Münchner Weisser-Rabe-Gebrauchtwarenkaufhaus ein Buch über die „Etruskische Kunst“ von 1969 mit 20 Seiten bebildertem Text und 90 zusätzlichen Seiten mit Fotografien. Dieses Buch arbeitet sich auch schon intensiv an diesem Thema ab. Ich will nicht tiefer auf den Text eingehen, weil darin seinerzeit Belegbares fließend in Vermutungen des Autors über die etruskischen Verbindungen zu den Griechen übergeht. Und bei dem damals nur Vermuteten müßte sich durch die vielen Ausgrabungen der letzten 50 Jahre einiges getan haben. Es ist aber sicher sehr interessant mit solchen Gedankengängen tiefer einzusteigen. Was würde man selber mögen? Das, was als verbleibende etruskische Eigenständigkeit identifiziert wird? Oder die vermutlichen Importvorlieben? Oder das, was sie lieber ausgelassen haben? Karlsruhe hat den „Kopf einer Terrakottastatue des Gottes Hermes/Turms“ für sein Ausstellungsplakat verwendet. Der soll so etwas wie die etruskische Mona Lisa sein. Wo beginnt bei dem die etruskische Eigenständigkeit? Und wenn er einem gefällt - paßte er überhaupt noch zum Stilgefühl der Zeit Aule Meteles?
Etrusker-Ausstellungen gab es aktuell im deutschsprachigen Raum einige. Die des Badischen Landesmuseums wurde als die „seit vielen Jahren größte deutsche Etrusker-Schau“ charakterisiert. Ich weiß nicht, inwieweit das zutreffend ist. Ich kenne auch keinen vergleichenden Artikel über die aktuellen Etrusker-Ausstellungen. Beim Blick in mein altes Etrusker-Buch war dort jedenfalls schon einiges von dem zu sehen, was dann in Karlsruhe ausgestellt wurde. Das Buch hat sogar ebenfalls mit Aule Metele abgeschlossen. Vielleicht konnte man in Karlsruhe mehr Etrusker-Prominenz herbeischaffen als in den anderen Etrusker-Ausstellungsorten, und das Gezeigte wird dann wieder viele Jahre nicht mehr bei uns zu sehen sein.
Die Ausstellung zeigte schwerpunktmäßig viel Schönes aus den Gräbern der Reichen. Die dafür notwendige Leistung wurde aber von vielen erbracht, von denen in der großen Mehrzahl unbekannt bleibt, wie sie lebten und wie sie begraben wurden. Um an solche Hintergründe zumindest zu erinnern, hat man in einer Ausstellung in der Münchner Archäologischen Staatssammlung — ich vermute es war „Luxus und Dekadenz“ — Vorrichtungen gezeigt, an die Sklaven über Nacht angekettet wurden. Ein umfassenderer Blick auf die Gesellschaft böte vielleicht auch die Möglichkeit nachzuvollziehen, warum sie wie im gegebenen Fall die Etrusker gegenüber den süditalienischen Griechen und den Römern dann so in das Hintertreffen geraten ist.
Fotografieren muß in der Sonderausstellung wieder verboten gewesen zu sein. Ich habe es mittelbar über eine Frau mitbekommen, die eine „Goldene Kammschließe mit plastischer Dekoration“ mit ihrem Smartphone aufnehmen wollte. Sie wurde auch noch von der Vitrine vergrault, um einer Presseführung inklusive einem Fotografen Platz zu machen. Kurz zuvor hatte eine andere Frau die Kammschließe noch unbehelligt fotografieren können, da stand die Aufsicht gerade woanders. Das Fotografierverbot hat sich anscheinend in Zeiten heutiger Smartphone-Gewohnheiten zum Flöhehüten entwickelt, wobei auch das ältere Publikum immer hemmungsloser wird. Einer älteren Besuchergruppe erklärte ihr Führer gerade in die Ohrhörer, daß sie nicht fotografieren dürften, sonst käme die Aufsicht. Dann mußte er selbst hinter zwei im Hintergrund tätig werdenden Teilnehmerinnen herjagen.
Das geschah in dem Bereich, in dem es um etruskische Tempel ging. Via Saaltext konnte man dort erfahren, daß ein bestimmter etruskischer Tempelbezirk als „Begegnungsstätte für Reisende, Seefahrer, Kaufleute und Handwerker aus Griechenland, dem karthagischen Nordafrika und dem Vorderen Orient“ gedient haben mußte. Vielleicht wollten die beiden Damen die Fotos verschicken, vielleicht wollte man sie woanders jemandem auf dem Smartphone zeigen, vielleicht sollten sie zuhause als Inspiration für eigene Gestaltungen dienen. Ich würde überall die durch den Musentempel angeregten Begegnungen sehen - und die versucht man durch das Fotografierverbot auf Null runterzudimmen.
Es gibt nachvollziehbare Begründungen für das Verbot, etwa wenn der Leihgeber einfach nicht will, daß sein Ausstellungstück fotografiert wird. In Karlsruhe hatte das Verbot aber eine bemerkenswerte Besonderheit. Auf der mittlerweile in den „Rückblick“ umgehängten Ausstellungswebseite konnte man sich vier Fotos von Ausstellungsstücken ansehen. Mit etwas Nachsuchen fand man aber auch eine mittlerweile nicht mehr zugreifbare Bildergalerie im Presseservice mit 68 qualitativ wesentlich besseren Bilddateien. Auf der Ausstellungswebseite gab es beispielsweise die Aule-Metele-jpg-Datei in einer Größe von 133 kB, der „hochauflösende“ Aule Metele aus dem Pressebereich brachte 2,32 MB auf die Platte. Im Pressebereich war auch die schon genannte Kammschließe mit 2,29 MB und „die etruskische Mona Lisa“ mit 2,03 MB verfügbar. Diese Pressebilder konnten Medien verwenden und auf ihrer Webseite einstellen. Man könnte jetzt denken: wenn schon ein Fotografierverbot sein muß, aber zu einer Vielzahl von Ausstellungsstücken hochqualitative Bilddateien einfach zugänglich sind und verbreitet werden sollen, warum versucht man nicht irgendwie die Besucher vom Fotografieren auf die Verwendung dieses Bildmaterials abzulenken?
Ergänzend soll auch an den Anspruch des Landesmuseums hinsichtlich seines „Digitalen Katalogs“ erinnert werden: „Das Badische Landesmuseum betreibt mit Nachdruck die Digitalisierung seiner Sammlungsbestände...“. Die Idee solche Digitalisate passend zu Ausstellungen bereitzustellen und über die Ausstellung zu promoten wäre naheliegend. Ich habe nichts von Karlsruher Etrusker-Digitalisaten mitbekommen. Gehen tut das Erstellen und Freigeben von Digitalisaten schon, vor ein paar Wochen ging diese Meldung durch die Sozialen Medien: „Hundreds of Classical Sculptures from the Uffizi Gallery Now Digitized & Put Online: Explore a Collection of 3D Interactive Scans“.
Wie das Fotografier- habe ich auch das Katalogproblem schon früher angesprochen. Für mich wäre es im Sinne einer „Arbeitsbibliothek“ am günstigsten, wenn die Karlsruher Kataloge online ausleihbar wären. Ich könnte dann virtuell mal schnell einen alten Katalog aus dem Regal ziehen und irgendetwas nachschlagen. Die Karlsruher Kataloge gibt es aber nur in gedruckter Form. Den neuen Katalog zur im Dezember beginnenden Ausstellung „Mykene: Die sagenhafte Welt des Agamemnon“ sehe ich auch nur in gedruckter Form angekündigt. Man vergleiche mal das Angebot der MetPublications und bedenke die für so ein Angebot vermutlich notwendige Vorlaufzeit.
Irgendwie bin ich dieses Jahr auch gedanklich bei den alten Begleit-CD/DVDs zu den Ausstellungen hängengeblieben, die einige Jahre lang bis etwa 2010 verkauft wurden. Ich fand die im Nachhinein zunehmend ärgerlich, weil ich mal eine oder zwei aus der Münchner Stadtbibliothek ausgeliehen habe und die gegenüber den Internetmöglichkeiten schon in ihrer Entstehungszeit für konzeptionell überholt hielt und auch von der inhaltlichen Substanz nicht überzeugt war. Der zunehmende Ärger beruhte zum einen darauf, daß keine inhaltliche Unterstützung auf dem Level der stärkeren Kataloginhalte erkennbar war. Anderseits war das Badische Landesmuseum mit der „Entwicklung eines virtuellen Museums für die Highlights der Sammlung 'Karlsruher Türkenbeute'“ 2003 beim Thema Digitalisierung und Museum im Internet vergleichsweise sehr weit vorn. Man könnte denken, da muß man dann nur immer einen Schritt vor den anderen setzen und stellt sich dann automatisch konzeptionell viel besser auf.
Ich habe es mir dann so erklärt, daß die Füße nicht die des Landesmuseums waren, auf deren Basis seinerzeit das virtuelle Museum entwickelt wurde. Ich halte es für gut möglich, daß die Begleit-CD/DVDs in überhaupt keinem geistigen Bezug zum virtuellen Museum entstanden sind. Die waren vielleicht nur dazu da, daß die Oma dem Enkel mit Computer etwas mitbringen konnte. Führend blieb der gedruckte Katalog, und auf den CDs bzw. DVDs sollte nichts sein, was diese Führungsrolle ankratzte. In mein Erklärungsmodell habe ich nun schnell noch die frühe App zur Kykladen-Ausstellung 2012 als im Grunde genommen wesensfremd einsortiert. Das erklärt mir etwas meine damalige Feststellung „ich habe in keinem der ausgehängten Presseartikel einen Hinweis auf die App-Neuerung gesehen“ (was ja eigentlich für eine Neuerung ziemlich fatal ist).
Derzeit läuft im Karlsruher ZKM die Ausstellung „Open Codes“. Ich war da schon drin und sehe bislang nur Nullen und Einsen. Ich hoffe das wird besser, dann werde ich hier berichten. Vom Badischen Landesmuseum erhoffe mir eine tolle Mykene-Ausstellung, erwarte aber erst einmal keine Inspirationen zu „digitalen Welten“ oder einer „Welt als Datenfeld“, wenngleich nun sogar ein „MuseumCamp — Ein Forum für Ihre Ideen“ helfen soll, „um die aktuellen Fragen der Gegenwart anzugehen“.
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