In der Kunsthalle München fand vom 17. August 2018 bis zum 13. Januar 2019 die Ausstellung „Lust der Täuschung. Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality“ statt. So ein Thema ist schon interessant und vorgestellte Täuschungen sind meist Hingucker. Anderseits sind Täuschungen auch alltäglich. Unter so einem Täuschungs-Blickwinkel hätte man auch vor dem Museum bleiben und dort umfangreich fündig werden können. Ich mußte also nicht nicht unbedingt in die Ausstellung, aber kurz vor dem Ausstellungsende sind wir doch noch hinein.
Nach meinem letzten Besuch der Münchner Kunsthalle („Pompeji in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung“) hatte ich über die Kunsthalle selbst nicht viel geschrieben. Mittlerweile ging es bei mir darum, daß archäologische Funde an ihren Fundort zurückkehrten und mir ist jemand aus dem ehemaligen Dorf mit dem im Blog-Eintrag erwähnten Viergötterstein eingefallen, der mir in den 1980ern Kupfernes auf dem Wohnzimmerschrank zeigte, das er für ein dann nie entstandenes Heimatmuseum gesammelt hatte.
Die Zahl der Museen muß sich in diesen Jahren in Deutschland trotzdem verdoppelt haben und ich weiß nicht, ob solche Heimatmuseumsträume heute noch groß verfolgt werden. Anderseits wäre es nicht schlecht, den Leuten solche Sammlungen oder die archäologischen Fundstücke aus der Gegend zu zeigen. Bei Todesfällen gehen häufig viele Erinnerungsstücke verloren, beispielsweise alte Fotosammlungen. Würde man aus noch vorhandenen Beständen Stücke aussuchen und damit Wechselausstellungen gestalten, würden solche Bestände aufgewertet und der eine oder die andere würde solche Sachen weniger schnell wegwerfen. Ein an dem Schema der Kunsthalle orientierter, an die lokalen Verhältnisse angepasster Raum erscheint mir für solche Zwecke besser geeignet als ein Heimatmuseum mit eigenem Sammlungsbestand.
Die Kunsthalle hat keine eigene Sammlung, sondern bietet jährlich mehrere Wechselausstellungen mit geliehenen Ausstellungsstücken an. Sie befindet sich in sehr zentraler Lage - vom Zentrum Münchens ein paar Fußminuten entfernt - hat mithin auch eine sehr gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und verfügt über eine verglichen mit anderen Museen deutlich leistungsfähigere Gastronomie. Das wäre dann alles irgendwie auf die dörflichen Verhältnisse zu übertragen. Dort vielleicht statt der Gastronomie ein naher Backwarenverkauf mit Imbissmöglichkeit und viel Laufkundschaft.
Die einleitende Bemerkung über die alltägliche Täuschung sollte nicht herabsetzend gegenüber den von der Kunsthalle ausgewählten Kunstwerken verstanden werden. Die waren wahrscheinlich abgesehen von den Virtual-Reality-Stationen für kleine Museen unerreichbar. Verlustfrei vervielfältigbare Virtual-Reality-Stationen könnte man hingegen auch eine Zeitlang in einer Kleinformat-Kunsthalle aufstellen und deren Vermittlung wäre dort vielleicht sogar besser organisierbar gewesen. Die Münchner Kunsthalle hat an dem Freitag, an dem wir dort waren, etwas nach 11 Uhr angefangen den Besucherstrom zu steuern, in dem versucht wurde, den Verkauf der Eintrittskarten an die Zahl der aus der Ausstellung Kommenden anzupassen. Soweit so gut, im Falle der Pompeji-Ausstellung hätte das wohl funktioniert. Bei der „Lust der Täuschung“ gab es aber mehrere dieser genannten Virtual-Reality-Stationen und an jeder Station wieder eine eigene Warteschlange. Das wirkte auf mich dann schon wie ein ausstellungskonzeptionelles Problem. Wir haben alle VR-Stationen ausgelassen.
Die Ausstellung war im Gegensatz zu vielen archäologischen Ausstellungen nicht chronologisch aufgestellt. Im Hinblick auf die Virtual-Reality-Stationen war das ganz gut, weil sich so ihre Warteschlangen über mehrere Räume verteilten. Der Untertitel der Ausstellung „Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality“ war auch nicht als irgendwie geartete Gegenüberstellung oder Schwerpunktsetzung zu verstehen. Es wurde zwar ein römisches Wandmalerei-Beispiel nach dem „4. Stil: Phantasiestil“ gezeigt oder das sich auf den Pygmalion-Mythos beziehende „Self-Portrait with Sculpture“ von John De Andrea. Im wesentlichen stammten die Ausstellungsstücke so wie das „Self-Portrait“ aber aus den letzten Jahrhunderten.
Täuschungen sind wie gesagt alltäglich. Es soll eine Entwicklungsstufe bei kleinen Kindern geben, ab der sie einem erzählen können, daß der hinter ihnen versteckte Bruder oder die Schwester sich gar nicht hinter ihnen befindet, sondern ganz woanders ist. Schon zuvor wissen sie, daß gemalte oder auf dem Tischtuch aufgedruckte Äpfel keine richtigen Äpfel sind. Eigene und fremde Selbsttäuschungen werden sie dann bis zum Lebensende begleiten. Heute schwer nachvollziehbare Rituale werden vielleicht geholfen haben, nicht ausschließlich dem harten Alltag verhaftet zu sein oder sich nicht immer mehr in ein schlimmes Schicksal hineinzusteigern. Und die Option diverse Stimmungsaufheller zu benützen, um dem Alltag sonnigere Aspekte abzugewinnen, möchte ich für die folgenden archäologischen Links auch noch erwähnen.
Nach der Wikipedia fand sich die römische Wandmalerei, von der in der Ausstellung ein Beispiel gezeigt wurde, „in den Wohnungen der Reichen, aber auch in kleinen Wohnbauten in der tiefsten Provinz“. Wie man dem Wikipedia-Artikel über die römische Malerei weiter entnehmen kann, hatten die Römer neben Hochzeitsgesellschaften, Hafenpanoramen und Ringern auch gemalte Nischen und Mauerdurchbrüche auf den Wänden. Einfachere Wanddekorationen konnte man schon bei den Jungsteinzeitlern nachweisen, siehe die im Eintrag „Jungsteinzeit in Karlsruhe“ erwähnten Lehmreste mit weißer Bemalung und Lehmbrüsten. Bei den steinzeitlichen Jägern kann man davon ausgehen, daß sie im Gegensatz zu uns gewohnheitsmäßige Täuscher waren, daß Täuschung zur täglichen Arbeit gehört hat. Von Marc Azéma gab es die Idee, daß sie absichtlich durch sich überlagernden Umrisse in prähistorisch Höhlenzeichnungen via Fackellicht animierte Bilder erzeugten, im Blog-Eintrag über das römische Baden-Baden hatte ich ein paar Links angegeben.
Oliver Dietrich, Laura Dietrich und Jens Notroff haben ihre Ansichten zum Kult aus Göbekli-Tepe-Perspektive unter die Überschrift „Cult as a Driving Force of Human History“ gestellt. Zum Alkohol bin ich schon früher auf ähnliche Überlegungen gestoßen. Die Sache ist heikel, weil diese Idee einerseits gern mit Augenzwinkern behandelt wird und anderseits der Missbrauch diverser Stimmungsaufheller ein großes Problem darstellt. Aber die Archäologie würde auch einen wichtigen Beitrag zur Drogen-Diskussion liefern, wenn der Gebrauch von Drogen tatsächlich schon Jahrtausende lang eine große Rolle für die menschliche Kultur gespielt hat. Die Alkohol-Überlegung stützt sich darauf, daß man erst glaubte, der frühe menschliche Getreideanbau erfolgte um das geerntete Getreide zu essen, Bier sei erst als Folgeprodukt aus übrig gebliebenen Getreide bzw. Brot entstanden. Nun stützen immer mehr Funde die Vermutung, daß die Alkoholgewinnung aus Getreide schon vor der eigentlichen Sesshaftwerdung erfolgte. Mehr dazu gibt es beim „Steinzeitbier-Projekt“ einer Arbeitsgruppe des Historischen Vereins Fürstenfeldbruck nachzulesen.
Zurück zur Kunstausstellung mit exquisiten Ausstellungsobjekten, wie etwa dem „Self-Portrait with Sculpture“ von John De Andrea von 1980. Der Pygmalion-Mythos ist zeitlos, und John de Andrea hat sich irgendwie mit seinem Werk in die Diskussion über diesen zeitlosen Mythos eingereiht. In diesen 1980er Jahren war schon einmal die Künstliche Intelligenz ein größeres Thema. Von der damals häufiger geäußerten Körper-Geist-Problematik habe ich aktuell schon lange nichts mehr gehört. Die religiöse Mutter eines Informatikers meinte damals mir gegenüber, sie glaube nicht an den Erfolg der KI, weil ab einer gewissen Stufe Geist notwendig ist und den hat eine Maschine nicht. Zur zeitlosen Frage nach dem möglichen Bewußtsein einer Künstlichen Intelligenz konnte ich Ende der 1980er einmal die sehr kurze Antwort eines vortragenden KI-Wissenschaftler miterleben, der meinte, der Fragesteller könne ja seinem KI-Programm die Antwort „Ja“ einprogrammieren, wenn jemand danach frägt, ob es Bewußtsein hat.
ELIZA war damals zumindest in diesen Kreisen bekannt, wobei aber vermutlich kaum jemand dieses Programm wirklich im Quelltext oder gar in Aktion gesehen hat. Es soll schon 1966 entwickelt worden sein und so eine Art „verstehendes Gespräch“ geführt haben. Also ich sage „ich bin traurig“ und das Programm versteht im Grunde nichts, interessiert sich auch nicht dafür was ich da genau sage, aber es dreht mir den Satz herum und frägt, warum ich traurig bin, und ich glaube dann das Programm interessiert sich für mich und halte es dann erst einmal für einen angenehmen Gesprächspartner. Ich glaube nicht an die beschriebene Leistungsfähigkeit von ELIZA 1966, kann mir aber sehr gut vorstellen, daß das Grundprinzip in gewissem Umfang funktioniert. Also man hat ein relativ dummes System, das uns durch diverse Täuschungen, auf die wir gut ansprechen, besser über diverse Klippen manöveriert. Was heute noch die angenehme Automatenstimme ist, die einen auf „Eins“ „Zwei“ oder „Drei“ am Telefon mit dem richtigen Menschen verbindet, ist morgen der sympathisch designte Krankenhaus- oder Haushaltsroboter.
Fiktional ist das über die Jahre reichhaltig begleitet worden. Zum Thema Täuschung drängt sich mir die 2016 erschienene erste Staffel der Westworld-Serie auf. Touristen können in der Serie so wie im Westworld-Film von 1973 einen mit Androiden bevölkerten Wildwest-Aufenthalt buchen. Die Menschen können mit ihren Revolvern die vom Aussehen und den Bewegungen her nicht vom Menschen unterscheidbaren Androiden erschießen, die Androiden umgekehrt den Menschen nichts anhaben, soweit alles wie gedacht funktioniert. Das „geistige“ Innenleben der Androiden wird in der Serie wesentlich komplexer als im Film von 1973 geschildert. Die Androiden sind via diversen Skalen auf ein bestimmtes Reaktionsverhalten festlegbar und können zudem durch offene Skripte gesteuert werden, in die sich andere Androiden oder menschliche Westworld-Gäste einklinken können. Die Ranchertochter Dolores etwa hat per Einstellung ein sonniges Gemüt und reitet regelmäßig nach ihrem Neuaufsetzen in die Stadt zum Einkaufen, wobei ihr beim Packen der Satteltaschen immer etwas unbeachtet herunterfällt, was dann einen anderen Androiden oder einen menschlichen Westworld-Gast zum Aufheben und zur Kontaktaufnahme animiert. Dolores hält sich derweil für ganz normal, ihr ist ihre Skript- und Skalensteuerung nicht bewußt, sie glaubt Ranchertochter zu sein und verabschiedet sich nach jedem Neuaufsetzen zum Einkauf von ihrem vor dem Haus sitzenden Vater, der im Verlauf der Serie wegen Störungen des ersten Androiden durch ein anderes, anders aussehendes Modell ersetzt wird.
Beim Neuaufsetzen werden Teile der Erinnerung gelöscht bzw. geändert. Das funktioniert bei einigen der Androiden nicht richtig, die können ungewollt auf Erinnerungssplitter aus früheren Einsätzen zugreifen. Für eine Prostituierte wird das besonders bizarr, weil sie vor ihren Prostituierten-Einsätzen eine Mutter mit Kind darstellte. Der ungebundenen Prostituierten kommen so immer Erinnerungen aus einem Überfallszenario in den Sinn, in dem sie um das Leben einer Tochter kämpft. Das aktuell einprogrammierte Androiden-Selbstbild gerät dadurch gehörig ins Wanken.
Die Westword-Staffel ist wirklich sehr fiktiv und weit von realen Möglichkeiten entfernt gebaut. Aber allein auf Basis von Software läßt sich heute schon viel erreichen. Man könnte etwa in Partnersuch-Apps gezeigte Präferenzen auswerten und damit Computerprofile generieren, die der Mensch lieber kennenlernen will als richtige Menschen. Generierte Fotos und Stimmen gehen schon, an den echt wirkenden Chatbot glaube ich noch nicht. Mit Daten wäre er aber schon bestens bestückbar. Jedenfalls wäre man verglichen mit dem Pygmalion-Mythos auf einer verfeinerten Ebene. Aus der „Lust der Täuschung“ fällt mir passend dazu nur „Young Self: Portrait of the Artist as He Was (Not)“ und „Old Self: Portrait of the Artist as He Will (Not) Be“ von Evan Penny ein. Ob die VR-Stationen noch etwas zu meinen letzten Textabschnitten boten, haben wir wie gesagt wegen den Warteschlangen nicht feststellen wollen.
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