Freitag, 18. Januar 2019

In Raum und Zeit verloren gegangene Römersoldaten

2014 hatte ich hier über den „Eagle of the Ninth“ von Rosemary Sutcliff geschrieben. Den Hintergrund dieses Buches bildet die seinerzeitige Vermutung, daß die römische Legio VIIII Hispana zwischen 115 und 120 in Kämpfen in Britannien untergangen ist. Diese Vermutung lässt sich aber laut der Wikipedia heute nicht mehr hinreichend begründen.

Es gibt aber tatsächlich Fälle, in denen den Römern eine größere Zahl von Soldaten fern der Heimat mit einem weitgehend unbekanntem Schicksal abhanden gekommen ist. In der Schlacht von Edessa (Nordmesopotamien, im Südosten der Türkei) ging im Frühjahr 260 gegen die persischen Sassaniden laut Wikipedia die komplette Armee von 70000 Mann verloren. Römische Gefangene tauchten in persischen Überlieferungen beim Bau des Staudamms Band-e Kaisar in Schuschtar und der Brücke von Dezful wieder auf. Diese bekannten Schicksale verwendete Frank Stefan Becker als Hintergrund in seinem Roman „Der Abend des Adlers“.

53 v. Chr. ist es in der Nähe von Edessa für die römischen Soldaten in der Schlacht bei Carrhae gegen die Parther zu einer vergleichbaren Katastrophe gekommen. Laut der Wikipedia erhielt der römische Kaiser Augustus 30 Jahre später „die bei Carrhae verlorenen Feldzeichen sowie einige überlebende Kriegsgefangene zurück“. Der etwa 75 Jahre nach der Schlacht geborene Plinius der Ältere berichtete laut der Wikipedia, daß 10.000 römische Kriegsgefangene nach der Schlacht bei Carrhae von den Parthern nach Margiana (Merw, im heutigen Turkmenistan) gebracht wurden und dort beim Bau der Stadtmauer Fronarbeit leisteten.

Das kann man im Abschnitt „Hypothetischer Kontakt zu Lande“ des Wikipedia-Artikels über die „Römisch-chinesischen Beziehungen“ nachlesen, weil es einen dazu passend interpretierten chinesischen Bericht von der Schlacht von Zizhi (36 v. Chr. bei Taras, Kasachstan) gibt, in dem eine Gruppe von mehr als einhundert Fußsoldaten erwähnt wird, die in einer „Fischschuppen-Formation“ kämpften. Nach einer auf Basis der Kampfformation und des Namens der späteren Ansiedlung der Gefangenen aufgestellten Hypothese des „britisch-amerikanischen Sinologen Homer Hasenpflug Dubs von 1941“ kämpften in dieser Schlacht nämlich einige über Margiana nach Zhizhi gelangte römische Überlebende der Schlacht von Carrhae und wurden nach der Schlacht von Zhizhi in das „chinesische Dorf Liqian im heutigen Yongchang umgesiedelt.“ Diese Hypothese wird aber heute „aufgrund von kritischen Bewertungen historischer Quellen und DNA-Analysen der Dorfbewohner abgelehnt“.

Von Matthew Bossons gab es nun aktuell eine Coverstory in den Zeitschriften „That’s Beijing“, „That’s Shanghai“ und „That’s PRD“ unter dem Titel „Lost in Time: The Vanished Roman Legion of Ancient China“. Er berichtet darin von einem Besuch im Ansiedlungsgebiet. Nichts Neues hinsichtlich der alten Römer, für diese Geschichte gibt es keine zusätzlichen Belege. Aber der Artikel beschreibt, wie man versucht, interessierten Touristen trotzdem etwas zu bieten. Den Titel der Coverstory mag man unter demselben Vorzeichen sehen - es ist ja ausdrücklich von einer relativ kleinen Anzahl von Soldaten in dieser Kampfformation die Rede, nicht von einer Legion. Ulrike Hecker, über die ich die freie Zugreifbarkeit des Artikels mitbekommen habe, scheint trotzdem sehr interessiert, also werden wir vielleicht auch mal in ihrem Bambooblog einen Besuchsbericht finden.

Die herumschwirrenden westlichen Gene, die man bislang der Seidenstraße zuspricht, lassen ja vielleicht noch eine große Hintertür offen. Wobei man nicht auf römische Soldaten beschränkt wäre. Seit ein paar Jahren gibt es die konkurrierende Hypothese, daß es sich um keine römische, sondern um eine griechische Kampfformation gehandelt habe: „Descendants of Alexander the Great's army fought in ancient China, historian finds“. Und „Li-chien“ könne nach diesem Artikel nicht nur „Rome“ oder „Roman“, sondern ebenso „Alexandria“ oder andere Regionen des nichtchinesischen Westens bezeichnen.

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