Im folgenden soll es um den 1954 erschienenen Jugendroman „The Eagle of the Ninth“ von Rosemary Sutcliff gehen. Rosemary Sutcliff verarbeitet darin zwei historische Fakten, nämlich das Verschwinden der zeitweise in Britannien stationierten Legio VIIII Hispana (Neunte Legion) aus den römischen Aufzeichnungen und das Auffinden eines römischen Bronzeadlers bei der Ausgrabung der ehemaligen römischen Stadt Calleva Atrebatum bei Silchester. Rosemary Sutcliff macht aus dem Adler den „Eagle of the Ninth“, der im Verlauf des Buchs vom Sohn eines der vermissten Legionäre der Neunten Legion wiederbeschafft wird und so nach Calleva Atrebatum gerät. Die Neunte Legion ist im Buch schon einige Jahre verschollen. Sie war von ihrem Standort in Eboracum (dem heutigen York) in Richtung Caledonia (Schottland) marschiert und nicht mehr zurückgekehrt.
Mittlerweile gelten beide historischen Hintergründe als überholt. Beim Adler ist man sich sicher, daß er kein Legionsadler gewesen sein kann. Zur Neunten Legion gibt es Hinweise auf spätere Aktivitäten auf dem Festland, so daß laut Wikipedia die Untergangsthese in Britanien kaum mehr vertreten wird.
Generell würde ich bei Rosemary Sutcliff kein so großes Bemühen um tiefgehende historische Korrektheit vermuten wie etwa bei Frank Stefan Becker. Die damalige Welt wird bei ihr zwar oft plastischer als in vielen schlechten Geschichtsdokus. Wo in denen nur von römischen Soldaten gesprochen wird, kommandiert der Held des Buches als römischer Offizier eine Auxilliareinheit Gallier. Anderseits hat diese Plastizität bei Sutcliff aber frühe Grenzen. Seien es absichtliche, um für das Jugendbuch (bei amazon.com sehe ich ein „Age Range: 12 - 17 years“) Komplexität, Fremdartigkeit oder Brutalität rauszunehmen. Oder weil Rosemary Sutcliff die Kenntnisse nicht gehabt hat, sie 1954 nicht haben konnte oder die Kenntnisse nicht so leicht verfügbar waren.
An der Stelle ein Hinweis auf den am 22. September bei FutureLearn beginnenden sechswöchigen kostenlosen Online-Kurs „Hadrian's Wall: Life on the Roman Frontier“ von der Newcastle University. Die Themenstellung verspricht umfassende geschichtliche Hintergrundinformationen zum Wall und mithin auch zum Buch. Ergänzend dazu sollte man sich natürlich noch informieren, wie es heutzutage in der Gegend aussieht. Hier die 1. Etappe Hadrianswall von Rolf Bierwirth, der den Hadrianswall 2011 im Anschluss an den Limes erwandert hat.
Zurück zum Buch, in dem Rosemary Sutcliff gegenüber der vermutlich viel härteren Wirklichkeit den Ball eher flach hält. Wenn zu Kämpfen kommt, dann sind sie nicht blutig ausformuliert. Entsprechend gedämpft sind auch die Schilderungen zum Besuch eines Amphitheaters. Und später bei den nördlichen Stämmen gibt es bei deren Festivitäten keine wüsten Praktiken. Man bewegt sich sogar in einem weitgehend friedlichen Umfeld, die nördlichen Stämme befinden sich nicht einmal im Kriegszustand mit den Römern. Aber die Lage scheint recht leicht kippen zu können. Den Horror für die Legionäre bzw. die nach ihnen Suchenden, den man mehr oder weniger versucht hat in jüngere Filme wie den „Centurion“ oder den „Der Adler der neunten Legion“ hineinzubringen, den gibt es aber so im Buch nicht.
Vielleicht weil den Jugendlichen das Sich-Beweisen beim Aufklären des Familienschicksals reicht? Für den Held des Buches, Marcus Flavius Aquila, Sohn eines Offiziers der Neunten Legion, ist eine häufig wiederkehrende Frage im Buch: wer war mein Vater, wie hat er sich verhalten? So sehr ausdifferenziert wird der Vater auch am Ende des Buches nicht sein. Er war wohl ok und bei den letzten Legionären, die beim Legionsadler gefallen sind. Uns sagt das heute nicht so viel. Aber das Buch ist 9 Jahre nach Kriegsende erschienen und vielleicht war so ein Gedanke für manche Jugendlichen bei der Kriegsverarbeitung wichtig.
Obwohl der Held sich demnach schon zu Romanbeginn stärker um die Klärung des Schicksals seines Vaters und der Neunten Legion bemühen könnte, muß er erst an seine Aufgabe herangeführt werden. Er wollte wie sein Vater ebenfalls Soldat werden und träumt noch von einer Legionskarriere. Das ist auch der Grund, weshalb er nun ebenfalls in Britannien gelandet ist. Zu Beginn des Buches marschiert er mit der erwähnten Auxilliareinheit zu einer Befestigung und löst dort eine andere Einheit ab. Nur in diesen ersten Kapiteln wird das Buch kriegerisch. Es gibt einen lokalen Aufstand, bei dem sich Marcus sowohl als Kommandant wie auch bei einer entscheidenden Einzelaktion bewährt.
Er überlebt schwer verletzt, muß aber wegen einer bleibenden Gehbehinderung seine Legionskarriere aufgeben und verbringt die nächste Zeit bei seinem Onkel im oben erwähnten Calleva. Der Onkel ist ein Legionsoffizier im Ruhestand. Beim einzigen Amphitheaterbesuch im Buch rettet Marcus einem unterliegenden Gladiator das Leben und es fällt ihm ein 13jähriges Mädchen aus der Nachbarschaft auf. Den Gladiator - der Einheimische Esca - erwirbt Marcus als Sklaven, zu dem sich in der Folge ein Vertrauensverhältnis ergibt. Marcus erlaubt Esca bei einer Wolfsplage mit auf die Jagd zu gehen und Esca bringt ein Wolfsjunges mit. Das Nachbarsmädchen findet sich nun aus Anlass des Wolfsjungen regelmäßig zum Besuch ein. Die Zeit geht dahin, währenddessen wird Marcus von einem alten Legionsarzt seines Onkels einigermaßen erfolgreich behandelt und kann das erwachsen gewordene Wolfsjunge selbst mit Esca in den Wald bringen und ihm die Freiheit geben.
Der Wolf kehrt natürlich freiwillig wieder zu Marcus zurück. Der Wolf wird im weiteren Verlauf keine Rolle bei der Rückgewinnung des Adlers spielen, ebensowenig das Nachbarsmädchen. Und als es später bei der Flucht um's eigene Leben von Marcus und Esca geht, können sich die beiden immer noch versichern, daß es ihre ausgetauschten Pferde beim neuen Besitzer gut haben werden. Da wird man sich wieder an das Jugendbuch erinnern. Die andere Frage ist die nach dem generellen Umgang mit den aufgebauten Charakteren. Wolf und Mädchen mußten aus Sicht Sutcliffs vielleicht einfach rein in ein Jugendbuch. Beschreiben aber auch die Hauptakteure und machen Szenen stimmiger und dichter. Tatsächlich kommen mir generell die einzelnen Szenen sehr dicht geschrieben vor. Manchmal hatte ich den Gedanken, daß Rosemary Sutcliff sich stärker als andere Autoren in die Situation hineinversetzt und dann wie aus dem eigenen Erleben berichtet hat.
Die aufgebauten Charaktere sind dem sicher zuträglich. Eine zu Anfang des Romans mehrfach auftauchende sehr verschlossen wirkende junge Frau mit Baby illustriert die bedrohliche Situation, in der sich Marcus schon befindet. Anderseits ist das weitere Schicksal der Charaktere offen. Mal hat Sutcliff eine Verwendung für sie, mal nicht. Das starke Bild der Frau mit Baby verschwindet mit dem Aufstand. Ich hatte in den späteren Kapiteln erwartet, daß sie unvermittelt im Norden auftaucht und für Dramatik sorgt.
Der Besuch eines mittlerweile zum Legaten aufgestiegenen Freundes des Onkels bringt endlich den Anstoß für den Aufbruch in den Norden. Er berichtet von Gerüchten, nach denen der Adler sich in einem Heiligtum im Norden befindet. Der Adler hat eine ungeheure Bedeutung. Möglicherweise gäbe seine Wiedergewinnung den Ausschlag, die Neunte Legion wiederaufzustellen. Seine Symbolkraft in der Hand der Gegner stellt dagegen ein große Gefahr dar, wenn es wieder zum Krieg kommt. Marcus will den Adler suchen und das Schicksal der Neunten aufklären. Eine Bemerkung des alten Legionsarztes hat ihn auf die Idee gebracht, den Norden als wandernder Augenheiler zu durchstreifen. Mit Escas Kenntnis der Einheimischen glaubt er erfolgreich sein zu können. Esca wird nun wie der Wolf ebenfalls freigelassen und entscheidet sich freiwillig mit Marcus in den Norden zu gehen. Die Augenheilkräfte erwirbt Marcus durch Salben, mit denen er vom alten Legionsarzt ausgerüstet wird.
Das Schicksal der Legion finden beide durch einen unter den Einheimischen lebenden ehemaligen Legionär schnell heraus. Später bekommen sie durch einen Veteranen der Gegenseite sogar noch einen ergänzenden Bericht zum Ende des Vaters. Aus Sicht des Legionärs war die Legion schon vor dem Marsch in einem schlechten Zustand. Auf dem Marsch sei sie durch Angriffe und Desertionen geschwächt und der Kommandeur zur Umkehr gedrängt worden, bis es zu einer Meuterei kam. Der Kommandeur sei nun bereit gewesen umzukehren, aber die Meuterer fürchteten nun eine zwangsläufige Bestrafung nach ihrer Rückkehr. Der Kommandeur wurde bei diesem Disput getötet. Auf dem Rückweg wurden die verbliebenen Legionäre nach und nach aufgerieben, der erzählende Legionär blieb wegen einer Verwundung liegen und überlebte. Alle Überlebenden des Desasters hatten aus Angst davor als Deserteure bestraft zu werden wenig Interesse, sich auf römischem Gebiet zu erkennen zu geben und das Schicksal der Neunten Legion aufzuklären.
Via dem Legaten werden die Ergebnisse von Marcus und Esca nach Rom übermittelt. Der Senat entscheidet wegen der Meuterei die Geschichte nicht publik zu machen und die Neunte Legion nicht wieder aufzustellen. Marcus bekommt Geld und Land wie ein altgedienter Offizier und Esca bekommt das römische Bürgerrecht. Die Belohnungen durch den Senat klingen wieder nach Jugendbuch, stehen aber auch in einem größerem Zusammenhang. Denn alle römischen Offiziere kommen im Buch irgendwie gut weg. Der Kommandeur der Neunten führt zwar seine Legion gegen den Rat seiner erfahrenen Untergeben in den Untergang. Er ist aber nicht unrettbar verstockt dämlich, sondern läßt sich schließlich sogar vom Besseren überzeugen und will seine Legion zurückführen. Ein als Unsymphat geschildeter hoher Offizier - für ihn ist Esca nur ein Sklave - überrascht Marcus mit der ehrlich klingenden Aussage, daß er gern Marcus und Esca bei der Suche nach dem Adler begleiten würde. Er wird als gewandter Jäger geschildert, der selbst Esca als guten Jäger anerkennt. Die Jagd wird im übrigen mehrfach zu einer Plattform, auf der man sich auf gleicher Ebene trifft und die Fähigkeiten des anderen uneingeschränkt respektiert.
Die positiven Wendungen bei den Offiziersdarstellungen wirken bisweilen aufgesetzt. Die überraschende Aussage des Unsymphaten oder der überzeugte Legionskommandant entwickeln sich nicht, sondern sind kurze Textsequenzen, die man auch bei einer letzten Durchsicht in den Roman hätte einfügen können. Kein römischer Offizier durfte wohl übrig bleiben, der grundsätzlich unfähig oder ungerecht wirkt. Es drängt sich auf, das Britische Empire als Hintergrund für dieses Vorgehen zu sehen. Auf was Sutcliff aber damit hinaus wollte blieb mir unklar. Die Konstellation hochgeborener Vorgesetzter mit erfahrenerem Untergebenen gibt es etwa häufiger. Marcus hat ebenfalls wie der Kommandant der untergegangenen Legion erfahrenere untergebene Offiziere. Kann selbst aber laut Buch nur in wenigen Ausnahmelegionen mit traditionell offenen Regelungen zum Legionskommandant aufsteigen. Das wird nicht kritisch betrachtet. Sondern es wird eher als Notwendigkeit für Marcus gesehen, sich beim Kommando gegenüber den erfahreneren und älteren Untergebenen durchzusetzen. Anderseits vermittelt der Aufstand, daß er so mit seiner Befehlsgewalt umgehen muß, daß er zum richtigen Zeitpunkt auf seine erfahrenen Untergebenen vertraut und dann die richtigen Entscheidungen trifft.
Das System steht vielleicht dann wohl mit der Fähigkeit diese Entscheidungen zu treffen und gerecht zu entlohnen. Dafür wird im Buch durch den Legaten gesorgt, der richtigen Aufgaben verteilt, und dann die Belohnung vermittelt. Und der Senat ist hart aber fair. Das verdreht natürlich die Tatsachen, wenn man an die Ausbeutungs- und Machterhaltungsmechanismen der Kolonialsysteme denkt. Aber wie gesagt, mir ist unklar auf was Sutcliff damit hinaus wollte. Immerhin lässt sie zumindest die Deserteure der Neunten ungeschoren davonkommen. Im Grunde genommen ist aber im Buch das Römische Imperium in der beschriebenen Form alternativlos, und damit verstellt sich Sutcliff manches, was man in einem historischen Roman beleuchten könnte. Ich würde da auch die Aufstandsgründe zu Romanbeginn miteinbeziehen. Marcus wird von umherwandernden „heiligen Männern“ gewarnt, tatsächlich entzündet die Kombination mehrere Missernten und „heiliger Mann“ den Aufstand. Den nimmt er dann auf der Gegenseite als dämonische Gestalt wahr. Näher wird Marcus den „heiligen Männern“, Druiden, Geistlichen der Einheimischen nie kommen.
Beim Buch sehe ich zwar die erwähnten Schwächen. Ich fand das Buch aber selbst als Erwachsener ganz spannend. Und die Art, bei der Wiedergewinnung des Adlers respektvoll miteinander umzugehen, gegenüber den Filmen erfrischend nett. Sutcliffs Marsch der Neunten Legion wird uns vermutlich als Filmthema erhalten bleiben. So eine in das Unbekannte marschierende Legion ist einfach ein zu guter Stoff, mit dem man vieles machen kann. Ob die reale Legio VIIII Hispana nicht doch in Britannien vernichtet wurde, wird sicher ebenfalls weiter diskutiert werden. Die Briten sind stolz darauf, daß zur Aufsicht der alten Britannier überproportional viele Legionen dort stationiert waren. Da wäre es doch schön wenn sie wenigstens eine davon mal vernichtet hätten.
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