Im vorletzten Eintrag über den ersten Wikipedian in Residence hatte ich einen Schlenker zum Leistungsschutzrecht gemacht: „Angesichts der Diskussion um das anstehende Leistungsschutzrecht für Presseverlage habe ich ja schon die Anzahl der Links auf Online-Presseartikel deutlich gesenkt. Mal sehen, wie das mit den Pressemitteilungen von Museen, Denkmalämtern etc. wird. Darf man aus denen noch zitieren, wenn sie irgendeine Zeitung abgedruckt hat, oder sind sie dann wegen deren Abdruckleistung geschützt?“
Mittlerweile gibt es zu diesen Befürchtungen einen heftig diskutierten Gesetzentwurf: „Viel Kritik an Entwurf für Leistungsschutzrecht“ schrieb heise.de. Eigentlich sollte ich außen vor sein, weil ich nicht gewerblich blogge, aber die Nutzung zu gewerblichen Zwecken ist weit gefasst: „die mittelbar oder unmittelbar der Erzielung von Einnahmen dient sowie jede Nutzung, die in Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit steht“. Also für mein Verständnis wäre ich schon mit kleinen Einnahmen durch Werbung mit dabei, und wenn ich mich durch den Blog für eine Tätigkeit als Social Media Berater meines späteren Altersheims qualifizieren wollte auch.
Der Schritt vom weiterhin erlaubten Zitat zum zahlungspflichtigen Textausschnitt ist sehr klein, folgt man der im Heise-Artikel verlinkten Analyse von Dr. Till Kreutzer. Näheres zum Zitieren und der Übernahme kleiner Textauszüge findet sich auch bei Christoph Kappes. Egal ist, aus welchen Quellen sich die Leistung speist, also ob sie auf auf kostenlosen Pressemitteilungen beruht oder mehr Eigenleistung im Spiel ist. Also beim eingangs genannte Beispiel gäbe es nun tatsächlich Fallstricke, und eine kleine Linksammlung zu aktuellen Kelten-Artikeln oder so ginge überhaupt nicht, weil da meine Eigenleistung fehlt und das kein ordentliches Zitat wäre.
Wer sich in die Diskussion zum Leistungsschutzrecht tiefer einlesen will, dem empfehle ich für einen Überblick zunächst den Beitrag von Prof. Dr. Thomas Hoeren „Was bleibt vom Urheberrecht im Zeitalter von Filesharing und Facebook?“. Ergänzend dazu ein Interview mit ihm unter dem Titel „Monopolrecht auf Worte“. Weitere Anwaltsstimmen gibt es von Udo Vetter, Tim Hoesmann, Thomas Stadler und Dr. Ralph Oliver Graef. Wikimedia Deutschland fürchtet „Wikipedia demnächst ohne Weblinks?“ und Markus Beckedahl fasst die Reaktion der Deutschen Journalisten-Union bei ver.di (DJU) auf das Leistungsschutzrecht so zusammen: „Wenn die von den Verlegern versprochenen 50% der zu verteilenden Einnahmen an UrheberTM verteilt werden, sind die Kollateralschäden alle in Ordnung.“
Es wird als Vorzug hingestellt, daß Blogger bei Erfüllung bestimmter Kriterien ebenfalls in den Genuss des Leistungsschutzrechts kommen können. Ich kenne keinen Blog, in dem dieser Genuss gewünscht wurde. Zweitens ist offensichtlich, daß auch das zu größerer Unsicherheit führen würde. Ich darf dann auch bei Bezugnahmen in der Blogosphäre über erfüllte Kriterien für das Leistungsschutzrecht und für Zitate rätseln. Eine andere Frage ist die, ob man schon bei kurzen Textausschnitten ohne Verlinkung dabei sein kann, Stichwort Sprachmonopolisierung. Ich könnte ja unwissentlich eine Textsequenz zusammenbauen, die eine Zeitung schon verwendet hat („Sensationsfund in ...“ oder so). Da will ich jetzt garnicht weiter spekulieren. Ich finde es aber sehr bemerkenswert, daß es Jahre hin zu diesem Entwurf gedauert hat und nun selbst der eher positiv zum Leistungsschutzrecht eingestellte Dr. Ralph Oliver Graef von einer notwendigen Nachjustierung spricht.
Michael Budde hat da glaube ich etwas ganz gut auf den Punkt gebracht: „Der Abmahnanwalt ist das deutsche Erfolgsmodell des Internetunternehmers“. Also zum einen scheinen sich die Presseverlage durch Eigenprodukte nicht mehr in der Lage zu sehen, ihre frühere Stellung auch in Zeiten des Internets zu erhalten. Zum anderen die - ich habe den Eindruck gewollte - Unsicherheit im Internet. Obwohl eigentlich Verzögerung, Verhinderung und Unsicherheit genau das Falsche für neue Entwicklungen ist. Wer volkswirtschaftliche Argumente mag, kann mal schnell ein paar große deutsche international bedeutende Internetfirmen aufzählen. Daß das Leistungsschutzrecht direkt über Abmahnanwälte Geld bringen soll, glaube ich aber nicht. Eher als Nebeneffekt, daß die Leute von selbst nach einer Verwertungsgesellschaft und einer Flatrate rufen, um wieder Rechtssicherheit zu bekommen. Vielleicht visiert man aber auch das kleinere Ziel an, daß konkurrierenden Modellen im Internet der Schwung genommen wird bzw. man durch bessere Rechtspositionen mit in das Boot kommen kann.
In Netzgemeinde gibt es Vorstellungen, nach denen die Presseverlage selbst durch die Auswirkungen des Leistungsschutzrechts getroffen wären und irgendwann ihren Fehler einsehen. Christian Sickendieck hat da eine schöne fiktive Geschichte mit Frank Schirrmacher und der FAZ geschrieben, an die ich überhaupt nicht glaube. Wenn so etwas mal in der Welt ist, dann ist es schwer es wieder aus der Welt zu bekommen. Es wird bestmöglichst genutzt und nicht mehr groß nach dem Schaden und dem Nutzen gefragt.
Ich denke da an das Depublizieren bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den aktuellen Streit um die Tagesschau-App. Ich habe schon ein paarmal auf das Buch „The Long Tail“ von Chris Anderson hingewiesen („Filme, Filmchen, Videos“). Chris Anderson hat einen Beispieljugendlichen Ben beschrieben, der nur noch 2 Stunden in der Woche fern sieht, „natürlich zeitversetzt“, und sich die meiste Zeit im Internet aufhält. Zeitungen erwähnt Chris Anderson nicht einmal. Ben, der die öffentlich-rechtlichen Mediatheken sicher ganz sinnvoll gefunden hätte, diente Chris Anderson zur Veranschaulichung der sich ändernden Ansprüche. Hierzulande wäre Ben vor ein paar Jahren, als das Buch erschienen ist, vermutlich nicht als Trendscout rübergekommen, sondern man hätte ihm vielleicht noch mangelnde Medienkompetenz vorgeworfen und ihn in die Problembär-Ecke gestellt.
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