Sonntag, 11. April 2010

Filme, Filmchen, Videos

Geht es um die Besonderheiten der Internet-Ökonomie, stößt man schnell auf die Theorie des „Long Tails“ (hier der Artikel dazu in der deutschen Wikipedia und ausführlicher in der englischsprachigen Wikipedia).

Biene und Krokusse

Um kurz die Grundidee des Long Tails am Beispiel des nach zwei Wochen in München abgesetzen Films „Agora - die Säulen des Himmels“ wiederzugeben:

Man stelle sich die aktuellen Kinofilme in einem Schaubild absteigend sortiert nach der Anzahl der Interessenten vor. Waagrecht die Filme, senkrecht die Anzahl der Interessenten für jeden Film, und über die Anzahl der Interessenten eine Kurve.

Momentan würden vermutlich „Alice im Wunderland“ und der „Avatar“ das größte Interesse finden und die Reihe anführen. Nach ihnen würde die Kurve bis hin zum Film „Agora“ stark abfallen. Zwischen „Agora“ und „Avatar“ die Filme, die sich halten konnten, ohne nach zwei Wochen wieder abgesetzt zu werden. Und nach „Agora“ in einem langen Schwanz die Filme, die es nicht mal wie „Agora“ zu einem Kurzauftritt in den Kinos geschafft haben.

Biene und Krokusse

Auf die einzelne Filmaufführung entfallen hohe Kosten, die von einer durch das Einzugsgebiet begrenzten Zahl von Besuchern wieder hereingebracht werden müssen. Dadurch sind die Kinos gezwungen, sich auf die für die meisten Kinogänger interessanten Filme zu beschränken und einen frühen Schnitt im oben skizzierten Schaubild zu machen.

Klassische Buchhandlungen oder CD-Läden können zwar eine wesentlich größere Auswahl anbieten, weil die Kosten pro Produkt geringer sind. Sie haben im Prinzip aber das selbe Problem. Ihre Stellfläche ist auch begrenzt, die Kosten müssen auf jeden Stellplatz umgelegt werden. Und das begrenzte Gebiet, aus dem die Kaufinteressenten kommen müssen, begrenzt den Wagemut zuviele Exoten aufzustellen.

Biene und Krokusse

Der Bruch besteht gegenüber dem Internet, weil dort einerseits die Kosten von Bereithaltung und Verteilung gegen Null gehen und anderseits die Beschränkung auf eine lokale Kundschaft entfällt. Der notwendige Schnitt bei der Anzahl unterschiedlicher Produkte, die angeboten werden können, geht deshalb in der genannten Kurve den „Long Tail“ entlang immer weiter nach hinten. Das Angebot kann sich selbst bei minimalem Interesse und minimalen Gewinnen über die große Anzahl der Produkte im Long Tail noch rentieren.

Es gibt sogar einen Druck hin zur Verbreiterung des Angebots in den „Long Tail“ hinein. Chris Anderson, der den Gedanken des „Long Tails“ in seinem gleichnamigen Buch (und in seinem Blog) populär gemacht hat, nennt Beispiele von Buch- und Musik-Händlern im Internet, die die höchsten Zuwachsraten im „Long Tail“ haben, was die Ausdehnung des Angebots weiter befördert.

Ergänzend kommt noch dazu, daß die Produktionsmittel für diese Produkte immer billiger geworden sind. Die Einstiegshürden für die bekannten „Spassvideos“ auf Youtube sind sehr gering. Ich erinnere mich an ein Video von jungen Jugendlichen, in dem sie eine Keltenschanze mit ihren Mountain-Bikes malträtieren. Und die sueddeutsche.de schreibt aktuell, daß bei Youtube jede Minute mehr als 20 Stunden Videomaterial hochgeladen werden.

Biene und Krokusse

Unterm Strich jedenfalls das Fazit, daß wir nach der Theorie rein systemisch bedingt einer Überfülle an Angebot gegenüberstehen. Und diese Überfülle wird in Zukunft noch zunehmen.

Am Beispiel von Youtube kann man sich das mal mit der Abfrage nach Archäologie ansehen, das bringt derzeit 576 Ergebnisse, die Suche nach Archaeology 12100.

Wo Archäologie drauf steht, muß natürlich nicht Archäologie drin sein. Allerdings hat die Verbilligung der Produktion nach den Spaßfilmern auch die Wissenschaft erreicht. Ein Beispiel ist die Videoreihe „Giganten der Steinzeit“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die einzelnen Folgen finden sich sowohl auf dem Portal DFG Science TV als auch bei Youtube.

Oder das Projekt „L.I.S.A.video“. Da gibt es Videos über das Orakel-Rätsel, das Grab eines Hunnenfürsten und das Grab des Neferhotep.

Biene und Krokusse

Übrigens sollten nach Anderson auch alte Fernsehsendungen Kandidaten für den „Long Tail“ sein. Anderson nennt als Beispiel alte Fernsehserien, die oft nur noch für einen räumlich weitverteilten Kreis weniger Liebhaber von Interesse sind, aber wegen komplizierten Musikrechten nicht im Internet angeboten werden können.

Daß die US-Amerikaner trotzdem etwas gebacken bekommen, zeigt das Beispiel Hulu.com, wenn auch Marcel Weiß in seinem Blog-Eintrag aus dem Jahr 2007 (!) WWW-systemisch noch nicht so ganz zufrieden ist. Hierzulande allerdings findet man Hinderungsgründe, auf die Anderson nie gekommen wäre: „Öffentlich-Rechtliche Sender müssen Inhalte aus dem Netz nehmen“. Schließlich noch eine Meldung vom 25.3.2010, daß ein deutsches Hulu geplant sei.

Biene und Krokusse

Wie bekommt man einigermaßen einen Überblick darüber, was per Netz verfügbar ist? Ich habe beispielsweise eben das Keltenschanzen-Video per Youtube-Suche nicht wieder gefunden. Anderseits bin ich via der Suche nach der „Heuneburg“, wo ich letztes Jahr war (Bericht steht noch aus), auf Videos vom dortigen Thraker-Überfall gestoßen. Ich hatte auf der Heuneburg davon gehört, wußte aber nicht, daß er auch filmisch dokumentiert wurde. Also ein Überblick sieht anders aus.

Chris Anderson betont hier die Wichtigkeit von Filtern, damit man sich wieder einigermaßen souverän in der Überfülle empfindet.

Ein Filter kann bei einem klassischen Fernsehprogramm die Programmzeitschrift sein. Im Falle von Fernsehfilmen aus dem Bereich Archäologie, Geschichte und Historischem hätten wir da sogar etwas bei Archäologie Online und Chronico.

Filter wären auch die Suchfunktion des Videoanbieters, eine allgemeine Suchmaschine, ein Blogger oder Micro-Blogger (etwa via Twitter), der auf Filme hinweist, Foren, Empfehlungen oder Kritiken auf diversen Webseiten.

Biene und Krokusse

Filter dienen nach Anderson nicht nur dazu, ein bestimmtes Produkt sichtbar zu machen, sie treiben die Nachfrage auch weiter in den „Long Tail“ hinein.

Reizvoll an der Long-Tail-Theorie ist, daß man damit gleich etwas anfangen kann. Wenn eine Institution ein Video einstellt, um, wie Ulrike Schmid in ihrer Studie schreibt, „Interesse zu wecken und die Anzahl der Besuche zu erhöhen“, dann weiß die Institution auch gleich, daß sie sich um die Pflege der Filter kümmern muß, damit das Interesse bis zu ihrem Video in den Long Tail hineingetrieben wird.

Biene und Krokusse

Leider nennt die Wikipedia Kritikpunkte an der Theorie von Anderson, auf die Anderson natürlich Erwiderungen findet - in der englischsprachigen Wikipedia kommt das besser heraus. Anhand der Wikipedia-Einträge scheint es mir vor allem darum zu gehen, daß Anderson an im Zweifel minimale Renditen ganz weit hinten im „Long Tail“ glaubt, während die Kritiker über weite Strecken null Verkäufe und damit null Renditen sehen.

Was würde das für die Theorie bedeuten, vielleicht daß Archäologie-Filme nicht mehr kostenlos eingestellt werden dürfen, sondern man selbst für die minimale Rendite bei gegen Null gehenden Bereitstellungskosten sorgen muß?

Biene und Krokusse

Egal, ich will noch an der Theorie dran bleiben und auf die Filter eingehen. Die Suchmaschine oder Suchfunktion des Video-Hosters wären allgemeinste Filter. Man kann spaßeshalber seine Suchworte, z.B. „Archäologie Video“, mit Google.de, Google.com, Google videos (oder einem Google-Konkurrenten), der Suchfunktion des gewählten Video-Hosters und mit Digger ausprobieren, der archäologischen Suchmaschine von Archäologie Online.

Das Potential bei den „Kleinen“, also Blogger, Micro-Blogger, Foren, kleinere Wikis, sehe ich darin, daß sie Anlaufpunkt für ein spezielles Segment werden können. Als Beispiel vielleicht das „Virtuelle Material Militärgeschichte“ der „Lernwerkstatt Geschichte“ des Historischen Seminars Hannover.

In dem Sinne könnte ein Museumsblog neben anderen Aufgaben auch als Filter für die Videos über das Museum dienen. Das kann Hand in Hand mit der Ankurbelung der Video-Produktion gehen, etwa wenn man den Experten vom obigen Thraker-Überfall anregt, auch noch das Schmuckangebot im Museumshop zu filmen und in Youtube einzustellen.

Biene und Krokusse

Zwischen den „Kleinen“ und den Suchmaschinen fällt mir jetzt eigentlich nur Archäologie Online ein.

Ich kenne die Website schon ziemlich lange und habe dort auch gleich nach den ersten Einträgen meinen Blog für den Guide angemeldet, bin aber kein Hardcore-Nutzer und habe immer das Gefühl einer Unübersichtlichkeit, durch die mir einiges von den Schätzen verborgen bleibt.

Versuchen wir es mit den Videos: es gibt die oben erwähnte Suchmaschine, es gibt vorsortierte Videos in der Mediathek, es gibt das Forum mit Hinweisen auf Videos wie bspw. hier, und es gibt den Guide, das ist eine kommentierter Linksammlung mit derzeit 7082 Links. Auf der Startseite des Guides ist unten eine „Schnellsuche im Guide“, dort kann man mal nach „Video“ suchen.

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