Letztes Jahr im Mai wurde ich mit einem Sehnenschaden bei meinen Eltern geparkt und das allerbeste Schatzi von allen fuhr allein mit der Bahn von Karlsruhe zum Bodensee weiter. Dort hat sie mit einer Freundin das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen besucht und die beigefügten Fotos gemacht. In die Pfahlbauten geht es gruppenweise mit einem Führer. Der sei zwar nett gewesen und hätte auch mal auf eine gute Fotoperspektive aus einem Pfahlbau heraus hingewiesen, wollte aber für die Veröffentlichung im Blog keine Innenaufnahmen erlauben.
Ich war vor etwas über 25 Jahren im Pfahlbaumuseum, das war auch mit Führung. Ich glaube, wir haben damals auf den Stegen auf die Führung gewartet. Mittlerweile wartet man in einem Raum mit Ausstellungsstücken, bevor es mit einer zehnminütige medialen Einführung inklusive einem „virtuellen Tauchgang mit 360 Grad Panorama“ losgeht. Danach werden die Pfahlbauten besichtigt, manche Häuser müssen dabei aufgeschlossen werden, die anderen Bereiche können nach Abschluß der Führung alleine noch einmal angesehen werden.
Das Pfahlbaumuseum hat eine glänzende Stellung unter den Museen. Die Wikipedia gibt eine Besucherzahl von knapp 300000 pro Jahr an. Für das eine knappe Autostunde von Unteruhldingen entfernte Freilichtmuseum Heuneburg habe ich dagegen die Zahl von nur 25000 Besuchern für 2014 gefunden. Dieses viel größere Besucherinteresse läßt sich sicher zu einem Teil auf die günstigere Lage Unteruhldingens in einem Urlaubsgebiet ersten Ranges zurückführen. Zwischen Ausflugszielen wie der Basilika Birnau und der Meersburg und gegenüber Zielen wie der Insel Mainau und Konstanz.
Aber um als Museum solche Zahlen zu bewegen, muß man dennoch irgendwie in die Köpfe dieser vielen Menschen kommen. Heute ist Unteruhldingen unter den vielen Museumsalternativen einfach da, ohne auf Schlagzeilen angewiesen zu sein. Speziell wenn es um Pfahlbauten geht, fällt einem vermutlich am ehesten Unteruhldingen ein. Eine Erklärung dafür mag der frühe Eröffnungszeitpunkt 1922 bieten, der früh von dem damaligen „neuen Medium“ Film begleitet wurde. Es sollen schon in 1920er Jahren Spielfilme in Unteruhldingen entstanden sein. Ich würde zusätzlich auf Filmberichte in den Wochenschauen tippen, mit denen die Generation meiner Eltern in den folgenden Jahrzehnten flächendeckend erfasst wurde. Da gab es sicher neben viel Licht auch viel Schatten, siehe die Bemerkungen zum Nationalsozialismus in meinen letzten Abschnitten. Jedenfalls, bis ich dann geboren wurde und in die Schule kam, kannten „alle“ das Pfahlbaumuseum, das Museum war bei der Elterngeneration präsent.
Ein kleiner Schlenker zur eingangs erwähnten Bahn, mittels der der Bodensee in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts den Einwohnern der Anliegerstaaten deutlich näher rückte. Ab da ging für viele ein Tagesausflug an den Bodensee. Ich bin mal anlässlich des Wandertags mit meiner Schulklasse von Karlsruhe via der äußerst interessanten Schwarzwaldbahn-Strecke nach St. Georgen gefahren, bis zum Bodensee fehlt da nicht mehr viel. Mit diesem Zeitvorteil - Stunden gegen Tagesreisen - waren die neuen Bahnverbindungen natürlich eine „disruptive Technologie“. Die österreichische Bahnverbindung nach Bregenz soll durch billiger produzierbares Getreide aus Ungarn den bis dahin prosperierenden Getreideexport aus Oberschwaben und dem Allgäu in die Schweiz beendet haben.
Jedenfalls ist das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen irgendwann in eine nahezu alternativlose Stellung hinsichtlich der „grauen Vorzeit“ gerutscht. Der Bodensee mit den Pfahlbauten war vielen präsent, man konnte Pfahlbauten ja auch bestens in Erinnerung behalten. Das dürfte dann auch oft so verkürzt hängen geblieben sein, daß es einmal in der grauen Vorzeit EINE Pfahlbaukultur gab und Pfahlbaudörfer damals allgemein die bevorzugte Siedlungsform waren. Richtig ist hingegen nach heutigem Stand, daß Pfahlbauten eine Reaktion auf regionale Besonderheiten waren. Als Begründung für den Pfahlbau wird derzeit auf „Wasserstandsschwankungen in Abhängigkeit vom jährlichen Wasserzufluss“ verwiesen. Und es gab nicht eine Pfahlbaukultur, sondern unterschiedliche Pfahlbaukulturen zu unterschiedlichen Zeiten.
Nach den häufigsten Fragen der Besucher des Pfahlbaumuseums sind Pfahlbauten eine Wohnform der Jungsteinzeit und Bronzezeit. Man unterscheidet bei den Pfahlbauern über einen langen Zeitraum sowohl zeitgleiche als auch nacheinander lebende Kulturgruppen. Deren aufgefundene Siedlungen streuen über ein überraschend großes Gebiet um die Alpen herum, wie man der Karte in der Broschüre „UNESCO-Welterbe Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen in Baden-Württemberg und Bayern“ entnehmen kann. Nach dieser Broschüre sind mehr als 30 archäologische Kulturgruppen in den Pfahlbauten nachweisbar.
Die verschiedenen Kulturgruppen lieferten die Vorlagen für unterschiedliche Pfahlbaurekonstruktionen des Unteruhldinger Museums. In der Führung wird sowohl auf diese große Zeitspanne zwischen den Kulturgruppen als auch auf die verschiedenen Aspekte ihres Pfahlbauerlebens eingegangen. Die Fischfang ist klar, aber man geht auch von einer landwirtschaftlichen Nutzung der Flächen am Bodensee und von einem regen Handel aus.
Obwohl Pfahlbaukulturen ein regionales Phänomen waren, sind deren Fundstätten dennoch enorm wichtig um Erkenntnisse über die damalige Zeit zu gewinnen, weil die Hinterlassenschaften der Pfahlbaukulturen verglichen mit anderen zeitgleichen Kulturen wesentlich besser und umfangreicher erhalten sind. Ich zitiere mal aus meinem Bericht von der Jungsteinzeitausstellung in Karlsruhe. Bei der stand mit der Michelsberger Kultur keine Pfahlbauerkultur im Vordergrund, man hat aber dennoch einen Ausstellungsteil mit Hinterlassenschaften der Pfahlbauer bestückt: „Wie schon oben gesagt, haben die Feuchtbodensiedlungen den Vorteil, daß mehr erhalten bleibt. Der folgende Ausstellungsteil wäre also verallgemeinernd zu sehen - so oder so ähnlich kann es auch bei den anderen Jungsteinzeitlern ausgesehen haben: ein Nachbau einer Hauswand auf Basis von am Bodensee gefundenen Lehmresten mit weißer Bemalung und Lehmbrüsten aus der älteren Pfyner Kultur zeigt, daß die Leute nicht mit kahlen Wänden gelebt haben. Mit den Funden kann man auf Bastkleidung und Flechtschuhe und Schmuck aus Bären- Eber- und Hundezähnen rückschließen. Es gibt Sichelklingen, Schaber, Messer, einen Furchenstock, Beilholme, Hacken, Steinbeile und Beispiele für die vielseitige Verwendbarkeit von Hirschgeweih und Birkenrinde zu sehen.“
Bastkleidung, Sichelklingen und Schmuck aus Bären- Eber- und Hundezähnen ist jetzt nicht viel, aber man kann sich ein wenig eine Vorstellung von dem damaligen Leben machen. In diesem Fall durch den Blick auf zeitgleiche jungsteinzeitliche Pfahlbaukulturgruppen. Darüber hinaus hat man über zeitlich aufeinander folgenden Pfahlbauern die Möglichkeit Entwicklungen nachzuvollziehen. Wann wurde eine bestimmte Technologie zuerst eingesetzt, wann wurde aus einem bestimmten tierischen Material immer weniger Werkzeug angefertigt? In diesen Zusammenhängen muß man die enorme Schutzwürdigkeit der Fundstätten sehen. Und natürlich auch den Gehalt dessen, was man von einem Besuch des Pfahlbaumuseums in Unteruhldingen mitnehmen kann.
1922 eröffnet, gab es eine lange Zeit im Nationalsozialismus. Überraschen wird vielleicht, wie sich manches bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hineingezogen hat. In einem Vortrag habe ich es mal vor ein einigen Jahren so gehört, daß sich viele Personen innerhalb der Archäologie ganz gut mit dem Nationalsozialismus arrangiert hätten. Nach dem Krieg haben diese Personen dann weiter Karriere gemacht, aber Hans Reinerth, der Leiter des Pfahlbaumuseums nach dem Krieg, sei verpönt gewesen. Und mit ihm erst auch mal die Experimentelle Archäologie. Liest man den verlinkten Wikipedia-Eintrag zu Hans Reinerth, wird das noch bizarrer: „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Reinerth Direktor des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen, das lange Zeit ein sehr konservatives Bild der Vorgeschichte vermittelte. Er war einer der wenigen nationalsozialistisch belasteten Archäologen, die in der Nachkriegszeit ihre Karriere nicht fortsetzen konnten. 1949 wurde er von Kollegen, unter ihnen mehrere ehemalige SS-Mitglieder wie der ehemalige SS-Obersturmbannführer Herbert Jankuhn, später Professor für Ur- und Frühgeschichte in Göttingen, bei einer Zusammenkunft in Regensburg wegen „unsachlicher und tendenziöser Wissenschaft der Prähistorie“ in einer Resolution aus der Wissenschaftsgemeinde der Ur- und Frühgeschichtler ausgeschlossen“. Zusammen mit der Wikipedia-Vermutung über den NSDAP-Ausschluss von Reinerth im Februar 1945 („Der wirkliche Grund wird der Kompetenzstreit zwischen dem Amt Rosenberg und der SS-Organisation Ahnenerbe gewesen sein, da Reinerth zum Amt Rosenberg gehörte.“) drängt sich der Gedanke auf, daß das Amt Rosenberg und die SS-Organisation Ahnenerbe ihre Auseinandersetzung auch noch nach dem Krieg fortgesetzt hatten.
Wer sich vertiefen möchte, mag auf der Website des Museums weiter herumstöbern. Hier gibt es einige interessante und frei zugreifbaren Texte des Museumdirektors Prof. Dr. Gunter Schöbel. Ich picke jetzt mal die „Geschichte aus dem Papierkorb - zu einem ungewöhnlichen Bilderfund“ mit interessanten Details über die Untersuchung des Großgrabhügel Hohmichele heraus. Über die Zusammenhänge von Hans Reinerth und der Experimentellen Archäologie mit dem „Germanengehöft“, einem Vorläufer des heutigen Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen, mag das Buch „Zurück zu unserem Cheruskerhof!“ von Sylvia Crumbach Auskunft geben. Hier der Link zu einer Besprechung des Buchs.
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