Samstag, 2. Juli 2011

„Spes“ von Bertel Thorvaldsen

Vielleicht kann selbst eine Mehrzahl der Münchner mit dem Begriff „Ägineten“ nicht so viel anfangen. Aber bei einschlägig Interessierten scheint er mit seinen verschiedenen Schreibweisen (Aegineten, Aigineten) als Bezeichnung für die antiken Skulpturen vom Aphaia-Tempel der griechischen Insel Ägina in der Münchner Glyptothek ziemlich bekannt zu sein. Dazu passt auch die Verwendung im Untertitel bei der vor zweieinhalb Monaten eröffneten Ausstellung „Kampf um Troja. 200 Jahre Ägineten in München.“.

Bild 1: Orginalabguß eines von Bertel Thorvaldsen ergänzten Mädchens aus dem Firstakroter des Aphaia-Tempels von Ägina. Die Rechte am Bild liegen bei Dr. Ernst Theodor Mayer, München.

In meinem Bericht „Neues von den Ägineten in der Münchner Glyptothek“ über einen Vortrag von Prof. Dr. Raimund Wünsche im Dezember 2010 habe ich auch versucht zu erläutern, um was es sich bei den Ägineten handelt und was so besonders an ihnen ist. Im Vordergrund standen - wie üblich, wenn man sich irgend etwas über die Ägineten durchliest - die aus dem Ost- und dem Westgiebel des Tempels stammenden Skulpturengruppen.

Darüber hinaus wurden weitere Skulpturenteile gefunden. Zum einen gab es Verzierungen auf dem Dach und zum anderen glaubt man heute an eine beim Altar aufgestellte Gruppe von Skulpturen. Von diesen Skulpturen ist viel weniger erhalten als von den Skulpturengruppen im Giebel. Man erklärt sich den besseren Erhaltungszustand der Giebelgruppen durch den Schutz durch den bei einen Brand oder einem Erdbeben eingestürzten Tempel. Als Ursache für die Schutzfunktion durch die Tempelsteine lese ich vor allem das Stichwort „Kalkbrennerei“, für das der Marmor geeignet war und die Steine des Tempels nicht.

Bild 2: Gegenüberstellung des von Bertel Thorvaldsen und Ernst Mayer ergänzten Firstakroter mit dem Zustand nach der Purifizierung. Die Rechte am Bild liegen bei Dr. Ernst Theodor Mayer, München.

In der aktuellen Ausstellung sind die Ägineten-Ergänzungen von Bertel Thorvaldsen ein/das Hauptthema, wieder stehen die Kämpfer im Giebel im Mittelpunkt („Kampf um Troja“). Aber auch von den anderen Skulpturenteilen wurden welche ergänzt - im Bild 1 sieht man ein Beispiel einer solchen „Äginetin“, deren Kopf von Bertel Thorvaldsen gestaltet wurde. Der Körper des Originals stammte von einer Verzierung auf dem Giebel des Tempeldaches, dem Firstakroter. Zwei Mädchen (Jungfrauen, Koren) standen dort rechts und links einer Palmette. Bild 2 zeigt den ergänzten Firstakroter, wie er über 100 Jahre in der Glyptothek zu sehen war, und daneben den Zustand nach der „Purifizierung“ 1967.

Bild 3: Kore, Mädchen, Jungfrau vom Firstakroter im Museum beim Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina. Die Rechte am Bild liegen bei Dr. Ernst Theodor Mayer, München.

Die First-Palmetten wurden vom Bildhauer Ernst Mayer ergänzt, dessen Werk wie im Bild 2 zu sehen ebenfalls von der Purifizierung betroffen war. Von seinem Nachfahren Dr. Ernst Theodor Mayer habe ich die grundlegenden Informationen für diesen Blog-Eintrag. Alle Bilder sind ebenfalls von Dr. Ernst Theodor Mayer, der mir die Verwendung in diesem Blog-Eintrag gestattet hat. Bild 2 ist aus seinem Fotobuch über das Werk von Professor Ernst Mayer entnommen, Bild 6 und 7 zeigen die Ostseite des Aphaia-Tempels von Ägina in seinem heutigen Zustand - Dr. Ernst Theodor Mayer hatte ihn dieses Jahr besucht. Die Aufnahmen 3 - 5 stammen aus einem kleinen Museum neben dem Tempel.

Bild 4: Skizze des Firstakroters mit rekonstruierten Teilen im Museum beim Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina. Die Rechte am Bild liegen bei Dr. Ernst Theodor Mayer, München.

Als Vorlage für die Mädchenköpfe verwendete Bertel Thorvaldsen einen ebenfalls beim Aphaia-Tempel gefundenen weiblichen Kopf. Wegen den unterschiedlichen Größen war klar, daß es nicht der Kopf eines der beiden Mädchen gewesen sein konnte. Woher der wirklich stammte, wurde erst 1920 herausgefunden: die schon früh als Greifen ergänzten Eckverzierungen des Aphaia-Tempels (Eckakroter) waren in Wirklichkeit Sphingen, der gefundene weibliche Kopf war der Kopf einer Sphinx.

Bild 5: Skizze des Firstakroters mit rekonstruierten Teilen im Museum beim Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina. Die Rechte am Bild liegen bei Dr. Ernst Theodor Mayer, München.

Im Begleitbuch zur Ausstellung gibt es eine schöne Nebeneinanderstellung des Kopfes der Sphinx und der beiden von Bertel Thorvaldsen gestalteten Köpfe. Prof. Dr. Wünsche schreibt dazu: „In diesen letzten Werken befreit sich Thorvaldsen von den Fesseln des Vorbildes und formt den Sphinxkopf im Gesichtsausdruck zu zwei lieblichen Mädchen um, was den Sinn dieser Figuren entspricht.“ Man kann das nachvollziehen und das Gespür des Meisters bewundern, aber das Lächeln der Sphinx hat auch was. Lächelt sie überhaupt?

Die Mädchen, Jungfrauen, Koren wurden als Fruchtbarkeitssymbole mit einer Granatapfel-Blüte in der Hand ergänzt, und - ich zitiere jetzt aus einer Mail von Dr. Ernst Theodor Mayer - „von Thorvaldsen adäquat in Spes (= Hoffnung auf Nachwuchs) umbenannt“. „Der außerordentlich kernreiche Granatapfel (granae=Körner) hat bei glatter Oberfläche innen mehr gosse Samenkörner als eine Erdbeere kleine auf ihrer Oberfläche. Auch die angeblich viel-brüstige Artemis von Ephesos bekam in Wirklichkeit eine Vielzahl von Hodensäcken umgehängt, die den Opferstieren abgeschnitten worden waren, präsentiert(e) also Millionen von Spermatozoen.“

Bild 6: Teil der Ostseite des Aphaia-Tempels auf der Insel Ägina. Die Rechte am Bild liegen bei Dr. Ernst Theodor Mayer, München.

Die ergänzten Mädchen hatten noch ein Nachwirken, nicht nur wie im Bild 1 zu sehen als Orginalabguß. Prof. Wünsche zeigt im Ausstellungs-Begleitbuch das Bild einer den Mädchen sehr ähnlichen Spes aus dem Thorvaldsen-Museum in Kopenhagen. Eine andere, mittlerweile verschollene Spes wurde von Ernst Mayer für das Giebelfeld der Münchner Glyptothek erstellt, ich zitiere noch einmal seinen Nachfahren Dr. Ernst Theodor Mayer: „Die 1830 von Ernst Mayer aus Laaser-(Schlanders)-Marmor gefertigte Spes war etwas kleiner als ihr Vorbild (88,5cm), nämlich 80 cm hoch und überreichte genauso eine Granatapfelblüte, die nach 125 Jahren im Freien etwas verwittert, aber für mich 1959 doch noch erkennbar war.“ Diese Spes von Ernst Mayer wurde von Prof. Dr. Reinhard Lullies (1901-1986), seinerzeit Hauptkonservator der Antikensammlung und ein Amtsvorgänger von Prof. Dr. Wünsche, im Sommer 1959 dem Nachfahren Dr. Ernst Theodor Mayer angeboten (weil sie nicht mehr auf dem bombengeschädigten Dreifuß -links neben der Mittelfigur- im Giebelfeld hätte befestigt werden können) und dann offenbar anderweitig vergeben.

Bild 7: Teil der Ostseite des Aphaia-Tempels auf der Insel Ägina. Die Rechte am Bild liegen bei Dr. Ernst Theodor Mayer, München.

Abschließend noch die Frage: wo steht der im Bild 1 zu sehende Orginalabguß? Es ist ein Münchner Gebäude, aber nicht die Glyptothek. Vermutlich haben schon viele diese Äginetin gesehen, aber nicht so bewußt wahrgenommen, daß sie es jetzt als Lösung parat hätten. Und die es parat hätten, die lesen meine Blog-Einträge nicht oder sie nicht bis zum Ende... Lösungen bitte als Kommentar oder als Mail. Die Auflösung und die Freischaltung eventueller Kommentare kommt mit dem nächsten Blog-Eintrag.

Im Fall der verschollenen Spes aus dem Giebelfeld der Glyptothek wären wir natürlich auch an Hinweisen interessiert. Da wir da keine Ahnung über den Verbleib haben, ist die Einsendefrist auch nicht bis zum nächsten Blogeintrag beschränkt.

1 Kommentar:

Marie hat gesagt…

Würde auch gern wissen, was aus der Skulptur geworden ist.