Donnerstag, 9. Juni 2011

Selinunt

In diesem und den zwei folgenden Blog-Einträgen soll es um Selinunt gehen, das wir bei unserer Sizilien-Reise im April 2009 besucht haben. Die Sizilien-Einträge sind über das Label Sizilien zusammengefasst. Im ersten Teil Selinunt gibt es einen geschichtlichen Überblick, garniert mit Bildern der Tempel E, F und G. Die Tempel von Selinunt sind mit Buchstaben benannt.

Südseite des Tempels E von Selinunt

Grob gesagt kann man die nebeneinanderliegenden Tempel E, F und G von Selinunt mit den ebenfalls außerhalb der Akropolis liegenden Tempeln in „Prozessionsanordnung“ von Agrigent vergleichen. Wobei allerdings in Selinunt kein Tempel so erhalten geblieben ist wie der Concordiatempel von Agrigent und von den Tempeln E - G nur Tempel E teilrekonstruiert wurde. Der Selinunter Tempel G war einer der größten Tempel in der griechischen Welt und nahm damit in dem Ensemble etwa die Rolle des Agrigenter Tempel des olympischen Zeus ein. Vom Tempel G wird ebenfalls vermutet, daß er dem Zeus geweiht war, und er war wie der Tempel in Agrigent bei der Eroberung durch die Karthager noch nicht vollendet.

Ostseite des Tempels E von Selinunt

Selinunt (griech. Selinus, ital. Selinunte) war bis zu dem schon im Zusammenhang mit Agrigent und Herakleia Minoa erwähnten Kriegszug der Karthager eine der größten und mächtigsten sizilianischen Griechenstädte. Ähnlich wie Agrigent und Herakleia Minoa hatte Selinunt schon sizilianische Wurzeln, die im Fall Selinunts bei der Stadt Megara Hyblaea an der Ostküste der Insel lagen. Megara Hyblaea wiederum war eine Gründung der griechischen Stadt Megara. Selinunt entstand allerdings nicht wie die anderen Städte als Satellit in einem zu sichernden oder auszudehnenden Machtgebiet der Mutter. Vielmehr war Megara Hyblaea an der begehrten und am frühesten kolonisierten Ostküste zwischen nördlich und südlich angrenzenden Griechen auf einem engen Landzipfel eingezwängt und konnte sich dort nicht mehr weiter entwickeln. Die neue Stadtgründung erfolgte weit entfernt vom bisherigen Griechengebiet Siziliens an der Südküste im Westen mit Kolonisten aus Megara Hyblaea und aus Megara.

Innenbereich des Tempels E von Selinunt

Es gibt zwei Gründungsdaten: nach Thukydides wurde das sizilianische Megara 728 v. Chr. gegründet und Selinunt hundert Jahre danach. Diodor Siculus gibt 650 v. Chr. an. Das könne sogar beides stimmen, meint unser vor Ort gekaufter deutschsprachiger Führer von Mirka Bianco und Antonino Sammartano. Die Gründung einer Handesstation mag es schon zum früheren Zeitpunkt gegeben haben, während die Stadtgründung erst zum späteren Datum erfolgte. Wobei der Führer hinzufügt, daß es nachfolgende Einwanderungen vermutlich vom 7. Jh. v. Chr. bis in die Anfänge des 5. Jh. gab.

Blick über die Reste von Tempel F auf die Nordseite  des Tempels E von Selinunt

Selinunt war vom Westen bis zum Nordosten von Siedlungen der Phönizier/Punier und der hier einheimischen Elymer umgeben. Diese exponierte Position wirkt ziemlich gewagt, wenn man an das an die späteren griechisch-karthagischen Auseinandersetzungen auf Sizilien denkt. Aber vermutlich dachte man zu dieser Zeit noch nicht in diesen Kategorien. Die Stützpunkte der Phönizier hatten keinen griechischen Auswanderungsdruck im Hintergrund und sollen wegen ihrer schlechteren personellen Ausstattung kaum militärisch besetzte Handelsstationen gewesen sein. Karthago trat als Schutzmacht noch nicht in Erscheinung und die Interessengegensätze der Griechen untereinander müssen oft problematischer gewesen sein als die mit der einheimischen Bevölkerung.

Blick von den Resten von Tempel G über die Reste von Tempel F auf die Nordseite  des Tempels E von Selinunt

Anderseits konnten sich die Griechen auch nicht alles erlauben. Zwei im 6. Jh. von Selinunt unterstützte Versuche noch weiter im Westen griechische Kolonien zu gründen und die Punier/Phönizier weiter zurückzudrängen scheiterten. Eine Expedition des Griechen Pentathlos 580 v. Chr. zur phönizischen Niederlassung Lilybaion an der Westspitze Siziliens wurde mit Hilfe der einheimischen Elymer zurückgewiesen. An der Auseinandersetzung um Lilybaion soll sich Karthago möglicherweise noch nicht beteiligt haben, es gilt aber spätestens in Folge der Schlacht von Himera 480 v. Chr. als Führungsmacht der phönizischen Siedlungen im westlichen Mittelmeer. Selinunt hatte sich in dieser Zeit offenbar sehr gut mit den punischen Städten arrangiert und nahm an der Schlacht von Himera zusammen mit den Griechenstädten Rhegium und Himera auf Seiten der Karthager teil.

Überreste des Tempels G von Selinunt

In der darauf folgenden Zeit muß sich Selinunt in Richtung auf die alten Kriegsgegner Akragas, Gela und Syrakus umorientiert haben. Ich habe dazu einen Text gefunden, nach dem es diese Umorientierung schon früh gegeben hat, und einen anderen, nach der die Konstellation im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Karthager zustande kam, bei dem Selinunt 409 v. Chr. erobert wurde und der das Ende der großen Griechenstadt Selinunt bedeutete.

Blick von den Resten des Tempels G auf die Akropolis von Selinunt

Die Vorgeschichte wirkt aus mehreren Gründen reichlich bizarr. Das spätere Opfer Selinunt trat als Agressor auf, der versuchte auf dem Gebiet der Elymer-Stadt Segesta einen Handelshafen zu gründen. Das sollte an der Nordküste geschehen, am heutigen Golf von Castellamare, und hätte damit auch die Kette der punischen Niederlassungen unterbrochen. Segesta wandte sich zunächst hilfesuchend an Athen und wurde Auslöser der sogenannten sizilischen Expedition der Athener. Segesta täuschte Reichtum vor und bot eine Kostenübernahme an, damit Athen die Idee gut fand in der Auseinandersetzung mit Sparta präventiv in Sizilien einzugreifen. In Athen setzte sich der charismatische Demagoge Alkibiades für diese Idee ein. Die Expedition führte dann zwar nicht zu einer Schlacht gegen die Selinunter, weil die Athener feststellten, daß die Segestaner dafür nicht bezahlen konnten, aber zur Belagerung von Syrakus und der verlustreichsten Niederlage der Athener im Peloponnesischen Krieg.

Blick an Resten der Tempel G und E vorbei in Richtung Süden

Wenige Jahre danach trat dann Karthago an die Seite von Segesta. Der siegreiche karthagische Feldherr soll sogar noch versucht haben, vor Kriegsausbruch zwischen Segesta und Selinunt zu vermitteln, was Selinunt abgelehnt hat. Was ziemlich selbstbewußt gewesen ist, verglichen mit den 9 Tagen, die sich Selinunt gegen das karthagische Heer halten konnte. Die Hilfe der Verbündeten Akragas, Gela und Syrakus kam zu spät, das Schicksal von Selinunt war laut Diodor furchtbar, es sollen etwa 16000 Selinuntiner ihr Leben verloren haben.

Selinunt wurde zwar in der Folge wiederbesiedelt, konnte aber nie wieder an die alte Größe anknüpfen. Die Wiederbesiedlungen beschränkten sich nur auf die Akropolis des alten Selinunts, die während den folgenden griechisch-karthagischen Auseinandersetzungen von unterschiedlichen Herren weiter befestigt wurde.

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