Dienstag, 29. März 2011

Herakleia Minoa

Herakleia Minoa (italienisch Eraclea Minoa, englisch Heraclea Minoa) an der Südküste Siziliens ist, was die archäologischen Sehenswürdigkeiten angeht, das Entlein zwischen den Schwänen Agrigent und Selinunt. Das drückt sich in vergleichsweisen kurzen Beschreibungen in unserem Reiseführer und in der deutschen Wikipedia aus. Und in Sizilien-Rundreiseempfehlungen wird es oft nicht erwähnt.

Bild 1: Capo Bianco

Ich weiß nicht, ob auch eine deutsche Besonderheit mit im Spiele ist, die englische Wikipedia beschreibt Herakleia Minoa deutlich umfangreicher. Es ist aber sicher so, daß das abhängige Herakleia Minoa in der großen Zeit der sizilianischen Griechenstädte nicht wie die Nachbarn Selinunt und Agrigent Gelegenheit hatte Reichtümer anzusammeln. Die Hinterlassenschaften sind dementsprechend deutlich weniger spektakulär und der Ort ist in dieser Hinsicht mindestens eine Kategorie tiefer anzusetzen als die berühmten Nachbarn.

Bild 2: Strand von Eraclea Minoa

Herakleia Minoa soll als Außenposten von Selinunt gegründet worden sein. Der Namensteil „Minoa“ wird entweder auf minoische Siedler oder auf die im Blog-Eintrag über Sant’Angelo Muxaro erwähnte mythische Landung des König Minos zurückgeführt. Beim späteren Namensteil „Herakleia“ geben hingegen die Quellen einstimmig den Mythos als Namenspaten bei einer späteren griechischen Wiederbesiedlung an.

Bild 3: Blick von oberhalb des antiken Theaters nach Südosten

Die Zeit prosperierender Selbständigkeit, in der die Tempel Selinunts und Agrigents entstanden, endete durch einen Kriegszug der Karthager. Den Untergang des alten Akragas 406 v.Chr. hatte ich im ersten Teil meines Agrigent-Berichts erwähnt. Dem folgenden Treiben steht man verständnislos gegenüber: Stop der karthagischen Eroberung vor Syrakus, akzeptierter Diktatfrieden durch Syrakus, der Karthago die Herrschaft über den größten Teil Siziliens zusprach, dann aber schon 398 v.Chr. ein von Syrakus ausgehender Gegenschlag, der von Karthago wieder zurückgeworfen wurde, in den folgenden hundert Jahren weitere Kriege zwischen Syrakus und Karthago, ohne daß eine Seite dauerhaft die Oberhand in Sizilien bekommen konnte. In Friedenszeiten Einmischungen von Karthago in die Angelegenheiten von Syrakus, bei denen teilweise der Schuß nach hinten losging und der Geförderte den nächsten Krieg gegen Karthago begann.

Bild 4: Ausstellungsraum für Funde in der Zona Archaelogica Eraclea Minoa

Die Lage von Herakleia Minoa dürfte schon zuvor zwischen der entfernten Mutter Selinunt und dem nahen Akragas nicht einfach gewesen sein. Nach der Eroberung des Gebietes durch die Karthager erwähnt der deutsche Wikipedia-Artikel dann folgende Machthaber: Dionysios I. von Syrakus (vermutlich in Folge des erwähnten Gegenschlags), 383 v. Chr. ging Herakleia Minoa wieder an Karthago, 309 v.Chr. an Agrigent, das es wiederum an Agathokles (Syrakus) verlor. Und zeitweise war Herakleia Minoa im Besitz von Pyrrhus (der Griechenkönig mit den Pyrrhus-Siegen, während seines sizilianischen Abstechers von seiner Expedition nach Süditalien). Wegen der Solidität der Daten wäre ein extra für Herakleia Minoa ausgearbeiteter Führer mit Zeitlinie und Quellenangaben nicht schlecht gewesen, aber vor Ort gab es keinen.

Bild 5: Blick von oberhalb des antiken Theaters über das Ausgrabungsgelände

Wenden wir uns dem zu, was es vor Ort zu sehen gibt: Man erreicht die Zona Archaelogica Eraclea Minoa über die Schnellstraße entlang der Küste von Agrigento in Richtung Sciacca und Selinunt. Die Strecke verläuft bei Herakleia Minoa ein Stück im Landesinnern. Von ihr zweigt man ab in Richtung Meer und nach Eraclea Minoa. Vor den letzten Metern zum Parkplatz auf der Hochfläche über der Steilküste des Capo Bianco (die Kalksteinfelsen sind auf dem ersten Bild zu sehen) gibt es eine Kreuzung, von der eine Straße hinunter durch ein kleines Wäldchen und weiter zum Sandstrand führt.

Bild 6: Blick über das Ausgrabungsgelände von Herakleia Minoa

Wir sind da nach dem Besuch der Zona Archaelogica hinunter und ich hatte seinerzeit ein komisches Gefühl beim Durchfahren des Wäldchens und beim Blick in die Siedlung. Ich erkläre mir das heute damit, daß ich damals nicht wußte, daß das Sommer-/Ferienhäuser sind und deshalb alles ziemlich tot dalag. Neben den Ferienhäusern gibt es in dem Wäldchen auch einen Zeltplatz und beim Stöbern im Internet fand ich, daß der Strand als wenig überlaufener Badestrand empfohlen wurde. Wir waren am Strand sogar allein mit zwei Anglern, und die in den ersten beiden Bildern angeschnittenen Lokalitäten waren zu. Ich hatte die Ferienhäuser, den Zeltplatz und die Nähe zu Agrigent (etwa 30 km) bei meinen touristischen Empfehlungen im Blog-Eintrag zum fünften Teil Agrigent nicht im Kopf und deshalb diese Option nicht erwähnt, aber dieser Standort wäre statt eines Hotels bei Agrigento schon eine Prüfung wert.

Bild 7: Das Theater von Herakleia Minoa

Oben auf der Hochfläche über dem Capo Bianco läuft man vom Parkplatz zum Eingang des eingezäunten Areals. Dann an neuen Gebäuden vorbei, in denen sich ein Ausstellungsraum mit vor Ort gemachten Funden befindet (Bild 4). Von da weiter zur (Teil-)Ausgrabung der Stadt, die durch die in Bild 8 zu sehenden Stadtmauerreste vom Hochplateau abgegrenzt ist. Wenn wirklich erst ab dieser Mauer die Stadt begann, dann hat die Stadt den kleineren Teil der Hochfläche eingenommen. Von diesem kleineren Teil kippt das Gelände relativ sanft nach Westen in das Tal des Platani (Halykos in der Antike) ab. Da unten müßte der Hafen gelegen sein.

Bild 8: Teil der Stadtmauer von Herakleia Minoa

Die Mauerreste sollen nach Reiseführer (Baedecker, Auflage 2007) Teil einer 6 km langen Stadtmauer gewesen sein. Und nach der Wikipedia war Herakleia Minoa eine wichtige Grenzfestung. Das ist durch seine Lage „zwischen den Stühlen“ und die häufigen Machtwechsel plausibel. Die Mauerreste wirken jetzt aber nicht so beeindruckend, wenn die Gegner wirklich die Hochfläche als Aufmarschgebiet hatten. Vielleicht gab es im unausgegrabenen Bereich auf der dem Meer abgewandten Nordseite der Stadt eine stärkere Befestigung. Der vorhandene Überblicksplan war aber nicht mehr brauchbar, und ein andere Skizze, wie man sich das antike Herakleia Minoa mit Befestigungswerken vorzustellen hat, kenne ich nicht.

Bild 9: Überdachte Gebäudereste auf dem Ausgrabungsgelände

Ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Selinunt und Akragas ist das Theater mit Blick in Richtung Meer. Wobei ich rätselte, wie hoch man seinerzeit sitzen mußte, um über die gegenüberliegenden Häuser und die Stadtmauer sehen zu können. Oberhalb des Theaters und im Bereich der Häuser kann man auf dem Gelände ziemlich frei herumlaufen. Es gäbe sicher viel, was man dazu erzählen könnte, um die Ausgrabung für den Laien mit mehr Leben zu erfüllen. Da wären vielleicht gekennzeichnete Stationen und mehrsprachige Audioguides nicht schlecht. Oder sollte man jetzt schon auf professionell erstellte Führungen für Smartphones setzen, in ein paar Jahren dürften ja die meisten mit sowas herumlaufen?

Bild 10: Hang hinunter in das östlich liegende Tal des Platani

Eine andere Besonderheit des Ortes sollte ihn für die Liebhaber des antiken Flottenwesens sehr interessant machen: nach englischer Wikipedia war er im Ersten Punischen Krieg zweimal Stützpunkt der karthagischen Flotte. Außerdem wurde er mehrfach für Truppenanlandungen benutzt. Außer von der mythischen Landung des König Minos berichtet die Wikipedia von der Anlandung von Dion von Syrakus (eine der Einmischungen Karthagos) und eines karthagischen Entsatzheers (beim erfolglosen Versuch das unter karthagischer Herrschaft stehenden Akragas von einer römischen Belagerung zu befreien).

Bild 11: Hang hinunter in das östlich liegende Tal des Platani

Vermutlich war ein militärischer Aspekt die gute Aussicht von da oben, durch die man herannahende oder vorbeiziehende Feinde früh entdecken konnte. Wir haben eine Betonkonstruktion links oberhalb des Theaters auch in die Richtung interpretiert. Vielleicht ein Unterstand im zweiten Weltkrieg, um diesen Küstenabschnitt zu überwachen.

Bild 12: Hang hinunter in das östlich liegende Tal des Platani

Schließlich muß bei den Vorzügen von Herakleia Minoa natürlich auch die Landschaft erwähnt werden. Da ist Herakleia Minoa sicher ein Schwan. Mit gigantischen Lichtspielen zwischen Wolken und Meer. Mit dem Kreidefelsen, einem riesigen Sandstrand und einer beeindruckenden Vegetation drumherum. Nur dürfte es oben in Herakleia Minoa oft windiger gewesen sein als im milder daliegenden Selinunt.

1 Kommentar:

Hotel Bibione hat gesagt…

so erstaunlich dahin einen die Ruinen selbst zu sehen. Sie können besser verstehen, wie das Leben in jenen alten Zeiten war zu verstehen