Mittwoch, 18. April 2012

Augmented Reality

Wenn man mich nach den nächsten großen Neuerungen fragen würde, die unser Leben merklich verändern werden, dann würde ich an die Augmented Reality denken. Bei der Augmented Reality geht es um die Anreicherung der realen Welt um computergenerierte Zusatzobjekte, die man dann gemeinsam mit der realen Welt in seinem Anzeigerät besichtigen kann. Anzeigegeräte wären bspw. Smartphone, Tablet, Monitor, Pilotenhelm, „Head-Mounted-Display“ (Datenbrille, früher in der Art „verunglückte Taucherbrille“).

Man könnte sich eine computerergänzte Realität so vorstellen, daß man ein Sortiment an Keltenhaustypen identifiziert hat, wie sie beispielhaft im Keltenmuseum Hochdorf dargestellt werden. Diese Haustypen müßte man als Modelle im Computer haben. Idealerweise lassen sich diese Modelle im Computer auch noch variieren, bspw. in der Größe, um sie an die Realität vor Ort anpassen oder Variationen ausprobieren zu können. Anderseits hat man vielleicht durch Messungen in der Keltenschanze Buchendorf Pfostenlöcher identifiziert, die auf bestimmte Haustypen hindeuten. Und nun könnte man mittels dieser Forschungsdaten und den vorhandenen Hausmodellen solche Zusatzobjekte in der Keltenschanze erzeugen und vor Ort mittels einem Anzeigegerät besichtigen.



Die Anwendung der Firma Metaio in Video 1 ist verglichen mit der Keltenschanzen-Vision stark abgespeckt. Der Keltenschanze entspricht hier das Modell eines Zimmers mit Einrichtung, das mittels einer Tablet-Kamera angesehen wird. Ein virtueller Stuhl und ein TV-Gerät übernehmen die Rolle der virtuellen Keltenhäuser, also der computergenerierten Zusatzobjekte. Wie man sieht, funktioniert diese Anwendung schon und der Stuhl lässt sich im Zimmer herumschieben und das TV-Gerät in der Größe ändern. Das „Hineinrechnen“ (Rendern, die Bildsynthese) des Stuhls in das angezeigte Zimmer müßte das Tablet übernehmen.

Video 2 zeigt ein Beispiel von der CeBit. Hier wird das Bild eines Firmenvertreters im Smartphone lebendig und beginnt über die Firma zu reden und eine Mandanten-Infokarte (wohl eine Art Visitenkarte) zeigt, wie es im Büro des Mandanten zugeht.



Augmented Reality gilt als „reife Technologie“. Ich interpretiere das mal so, daß die Probleme theoretisch gelöst sind. Also auch die Anzeige von künstlichen Objekten in einer komplexen realen Keltenschanze müßte gehen. So etwas dürften die meisten schon aus entsprechend angereicherten Filmen kennen. Allerdings funktioniert das noch nicht in Echtzeit. Also für jede Sekunde Film wird eine längere Zeit gerechnet. Und das mit einer viel höheren Rechenleistung, als in absehbarer Zeit Tablets und Smartphones bieten können.

Also echt wirkende Keltenhäuser wären in diesem Sinne wohl sehr teuer. Die wird man vor Ort nicht so schnell sehen. Aber einfache schematische Darstellungen müßten gehen. Der Wintergarten im Video 3 von der Ludwig-II.-App sieht wie so eine schematische Darstellung aus.

Aus der Entfernung würde ich auf mehrere Zehnerpotenzen Unterschied beim Aufwand tippen und denken, daß solche einfacheren Lösungen schon in die Mach- und Bezahlbarkeit hineingerutscht sind. Aus der Nähe wird am Freitag auf der Tagung aufbruch. museen und web 2.0 mehr über diese App von Dr. Klaus Ceynowa von der Bayerischen Staatsbibliothek zu erfahren sein. Auf die Tagung hatte ich schon im Eintrag zu den Wissenschaftsblogs hingewiesen.



Schemazeichnungen sind oft völlig ausreichend. Ich fand eine Anwendungsidee faszinierend, bei der man sich bei Ansicht eines realen Motors ein Motorteil anzeigen lassen und sehen kann, wie es im Motor verbaut ist. Ohne so großen Aufwand für die Bildsynthese zu rechnen sind auch eingeblendete Zahlenwerte und Videos wie im folgenden Google-Video vom Project Glass, das in der Woche vor Ostern eine große Aufmerksamkeit bekommen hat:



Ob Puristen das überhaupt als Augmented Reality durchgehen lassen? Es wird zwar die Reality ergänzt, es gibt aber keinen Versuch künstliche Objekte in die Realität hineinzurendern. Zumindest dieses Google-Video sollte man sich aber angesehen haben, um zu wissen, was so alles kommen könnte. Golem schreibt sogar, daß es eine Google-Brille schon zum Jahresende 2012 geben soll. Für eine Brille würde sprechen, daß ein Smartphone nicht als Interface für die Augmented Reality gedacht war, also dafür eher unpraktisch ist. Die Brille ist aber auch nicht so unproblematisch, wie in diesem Auszug aus Technology Review zu lesen ist. Daneben gibt es Befürchtungen, daß man ungewollt auch noch mit jeder Menge Werbung angereichert wird, wie es die folgende Parodie in Video 5 zeigt. Und natürlich wurde schon daran gedacht, daß hier viele persönliche Daten gesammelt werden können, und da könnte ein Pegel überschritten sein.



Abgesehen davon muß man die passende Informationsinfrastruktur haben. Im Beispiel mit der Keltenschanze die Geo-Koordinaten der vermuteten Haustypen und ein Verweis auf die Berechnungsvorschrift, wie man aus den Daten die Häuser generiert. Diese Berechnung muß auch einmal ausprogrammiert worden sein. Um hier mal wieder den BayernViewer-denkmal zu erwähnen: Bayern hätte ein Geo-Informationssystem, in dem die Denkmäler abgelegt sind. D.h. man könnte schon die GPS-Daten eines mobilen Anzeigegeräts einem Denkmal zuordnen. Vielleicht gibt es bezahlbare Zwischenlösungen: zum Denkmal Keltenschanze Buchendorf werden die Daten für die Keltenhäusergenerierung abgelegt, und wenn von der Keltenschanze jemand anfrägt, dann wird ihm ein komplett virtuelles Modell generiert, ohne auf seinen aktuellen Standort und seine Blickrichtung Rücksicht zu nehmen.

Zurück zu allgemeinen Augmented-Reality-Problemen: GPS-Koordinaten stehen oft nicht zur Verfügung und sind meistens auch nicht hinreichend, um genau den Standort und das betrachtete Objekt zu bestimmen. Die Bilderkennung mittels der eingebauten Kamera dürfte oft eines dieser theoretisch gelösten Probleme sein - bei sehr viel Rechenzeit und riesigen Datenbeständen zum Vergleichen geht es. Praktisch wird die Bilderkennung wohl in Kombination mit allen möglichen Tricks eingesetzt: GPS, Kompass, Lagesensoren, Marker (= einfach erkennbare Markierung), ... Die Mandanten-Infokarte in Video 2 und die lebendig werdenden Eintrittskarten in Video 3 dürften bspw. als solche Marker fungieren.

Wegen der praktischen Probleme habe ich nicht an den großen Knall geglaubt, aber vielleicht bringt so ein Project Glass und eine Konkurrenz der Großen untereinander das Thema Augmented Reality auch schlagartig in die Köpfe der Leute. Ich hätte eher gedacht, daß nach und nach immer mehr Anwendungen in die Machbarkeit durchrutschen. Manche werden so „billig“ sein, daß man sich das allein dazu erlauben kann, um etwas Aufmerksamkeit zu bekommen. Manche machen das Leben komfortabler und es wird auch viele Anwendungen geben, die ungemein nützlich sind. Hinsichtlich einer angereicherten Keltenschanze Buchendorf wage ich keine Voraussagen zu treffen. Die anderen Bundesländer haben ja bspw. nicht einmal einen BayernViewer-denkmal, obwohl das jetzt schon lange technisch machbar wäre.

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