Mittwoch, 27. Mai 2009

Mehrfach aufgekocht

Es gibt nur sehr wenige Gerichte die durch mehrmaliges Aufkochen besser werden, die meisten verlieren stattdessen an Geschmack, außer man hält mit frischer Substanz dagegen.

Das antiquarisch (oder via Bibliothek) erhältliche Buch „Kultstätten, Römerlager und Urwege — Archäologische Ausflüge von der Steinzeit bis zum Mittelalter in Oberbayern“ von Martin Bernstein aus dem Nymphenburger Verlag wäre für mich ein Beispiel für ein Aufkochen ohne merklichen Qualitätsverlust. Im Klappentext steht innen „Teilweise erschienen die Ausflugstips in stark verkürzter Form als Zeitungsserie und lösten eine Flut begeisterter Leserbriefe aus“. Es steht nicht dabei wie „Flut“ und „begeistert“ definiert wird, aber einen soliden Hintergrund hat die positve Aussage schon, das Buch gefällt mir sehr gut, obwohl es als zweite Auflage aus dem Jahr 2000 sogar schon (mindestens) zweimal „aufgekocht“ wurde. Vielleicht haben die Zugaben an frischer Substanz das locker ausgeglichen.

Beschrieben werden in zeitlicher Abfolge 16 Ausflüge, beginnend mit den Weinberghöhlen bei Mauern „Vor 25000 Jahren“ und endend mit der Birg bei Schäftlarn „Vor 1100 Jahren“. Die Jahresangaben stellen Zeitpunkte in den Vordergrund, die die Orte aus heutiger Sicht interessant machen, und als eine Besonderheit des Buches werden diese Zeitpunkte durch eine einleitende fiktive Episode veranschaulicht.

In der einleitenden Geschichte zu den Weinberghöhlen steht gerade die Sonne am Himmel, aber wegen der Kälte tragen die Leute trotzdem mit Knochennadeln und Darmsaiten fest vernähte Fellkleider. Die Lage ist dramatisch, es geht um die Zukunft der Sippe, seit vielen Monden haben die Jäger kein Mammut mehr erlegt...

Nach der Einleitung kommt ein erläuternder Text zur damaligen Zeit, dann leitet „Idyllisch... Blick hinaus in die Ebene... “ einen Teil mit weiteren touristischen Hinweisen ein: hier in der Nähe hat es Hügelgräber, dort ist ein spätrömischer Burgus, da ein Ringwall. Es gibt gezeichnete Überblickskarten und abschließend eine „Kurzinfos“-Tafel (Ziel, Dauer, Anfahrt, Wegbeschreibung, Besonderheiten, z.B. „auch für kleine Kinder geeignet“ sowie "Weitere Tips" mit Hinweisen etwa zum erwähnten Burgus und dem Ringwall.

Der Schwerpunkt der Ausflüge liegt in der Nähe von München. Im Westen und in einem breiten südlichen Fächer unterhalb von München, wobei eine klassische Basis an Münchner archäologischen Ausflugszielen abgedeckt wird (die oft auch im Semesterprogramm der Münchner Volkshochschule enthalten sind): die Aubinger Lohe, Ziele entlang der südlichen Würm, die Römerstraße Via Julia im Münchner Süden (hier meine Postings zur Via Julia bei Buchendorf und im Forstenrieder Park), die Birg bei Schäftlarn, die Keltenschanze von Holzhausen und ein paar nördliche davon bis Deisenhofen, die Römerschanze bei Grünwald und die Fentbach-Schanze bei Weyarn.

Der Autor kann offensichtlich sehr gut schreiben. Er hat nach Klappentext u.a. Geschichte studiert, was für die fachliche Korrektheit spricht, und die einzelnen Ausflüge wirken solide recherchiert. Mit den detaillierten Schilderungen und Empfehlungen („festes Schuhwerk erforderlich“, „für Ausdauernde“) hat man sogar den Eindruck, das Buch ist liebevoll gemacht und fühlt sich irgendwie umsorgt. So ist dieser Führer besonders für den Münchner Raum sehr empfehlenswert, wenn man die genannten Ausflugsziele noch nicht kennt.

Diese 16 Ausflüge werden dann nochmal „aufgekocht“ im Buch:

Titel: „Römerstraßen und Kultplätze — Archäologische Wanderungen“
Autor: Martin Bernstein. Bilder: Daniela Wilhelm-Bernstein.
Verlag: Süddeutsche Zeitung, für die Süddeutsche Zeitung Edition 2006, Reihe „Bayern erleben“
191 S., Preis 9,90 €, ISBN 978-3866153554


Es gibt offensichtlich Änderungen, bspw. sind die Karten nicht mehr gezeichnet, sondern sehen wie Google-Satellitenbilder aus, auf der die beschriebenen Wege und Wegmarkierungen eingezeichnet sind. Oder es fallen mir zusätzliche und andere Fotografien auf. Dennoch habe ich den Eindruck, daß bei der Zugabe neuer Substanz sehr gespart wurde.

Ein Anzeichen sind die Touren „Petersbrunn im Mühltal“ und „Der Karlsberg im Mühltal“. Beide Routen starten im alten Buch beim S-Bahnhof Mühltal, da hielt aber beim Erscheinen des neuen Buchs 2006 keine S-Bahn mehr. Richtigerweise entfällt bei der Angabe der Anfahrtsmöglichkeiten im neuen Buch diese Option. Stattdessen werden in beiden Fällen die S-Bahn-Haltestellen Gauting oder Starnberg-Nord und ein längerer Anmarsch genannt — die früheren Wanderrouten aber nicht geändert.

Bei der ersten Wanderung kann man die Route über die Haltestelle Mühltal noch mit den dahinterliegenden Hügelgräbern und einem Rundweg begründen, nunja. Bei „Der Karlsberg im Mühltal“ ist der zum Rundweg führende längere Stichweg von der früheren S-Bahnhaltestelle Mühltal überhaupt nicht mehr motiviert.

Hinzu kommt, daß beide Touren zwar nach Leutstetten führen, die Villa Rustica bei Leutstetten aber nicht erwähnt wird, die nach der Wikipedia schon 2004 mit einem Schutzbau für Besucher aufbereitet war. Erwähnt wird bei der Tour „Petersbrunn im Mühltal“ nur der schon länger bekannte, mit den römischen Besitzern der Villa Rustica in Verbindung gebrachte Grabstein in der Leutstettener Alto-Kapelle. Der Autor scheint die Ausgrabung der Villa und den Schutzbau nicht mitbekommen zu haben.



Wenn man schon den langen Anmarsch von den beiden S-Bahnhöfen in den Raum stellt, dann könnte man besser die Wanderung bei Starnberg-Nord beginnen, die Autofahrer später dazustoßen lassen und die Route weiter über die Villa Rustica, Leutstetten, den Karlsberg zu den Hügelgräbern beim ehemaligen S-Bahnhof Mühltal führen.

Ein weiteres Missgeschick betrifft die Karte auf Seite 190, hier sollte es zur Birg bei Schäftlarn gehen. Ich will das Problem mal laienhaft so formulieren: man stelle sich eine über das Satellitenbild gelegte Folie vor, auf der Markierungen für die S-Bahn-Haltestelle Hohenschäftlarn, Birg und Kloster Schäftlarn sowie der Wanderweg eingetragen werden, und die Folie ist ein Stück nach Norden verrutscht, d.h. der Weg, die Haltestelle, die Birg, das Kloster sind jetzt alle laut dem Buch mehrere hundert Meter nach Norden verschoben.

Auf der Karte auf Seite 78 ist das Verrutschen anscheinend nur einer Markierung passiert, und zwar derjenigen der S-Bahn-Haltestelle Deisenhofen, die im Buch jetzt nahe der „Kugler Alm“ liegt.

Daneben gibt es offenbar auch gewollte Verluste: werden die „Kurzinfos“ wie im Fall der Weinberghöhlen im Vorgänger-Buch durch „Weitere Tips“ ergänzt, so sind beide jetzt in der Süddeutschen Zeitung Edition auf eine abschließende Infoseite zusammengezogen. Im Fall der Weinberghöhlen schafft es auf diese Seite noch ein Ringwall, dann ist die Seite voll, die drei anderen früheren Hinweise entfallen.

Im heute noch verkauften Buch von 2006 habe ich keine eingelegte Korrekturseite gefunden, obwohl die Kartenfehler mittlerweile bekannt sein müßten. Es findet sich auch kein Vorwort oder Klappentext wie im Vorläuferbuch, in dem auf den Werdegang des Buches hingewiesen wird.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke für die ausführliche Bewertung. Hab mich deswegen für das Originalbuch entschieden.